Bildungspolitische Illusionen/Ziffernoten

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FG Bildungspolitik - Bildungspolitische Illusionen
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Ziffernoten dienen der sogenannten "Leistungsmessung".

"Messung" meint die Abbildung eines empirischen auf ein numerisches Relativ. Einfacher gesagt: Man beobachtet etwas und packt es dann in eine geeignete Schublade, die aus Gründen der Ordnung und Sortierung gerne mit einer Zahl "nummeriert" und mit einer tauglichen Maßeinheit versehen wird. Wenn ein Thermometer verrät, dass es draußen 10°C hat, können wir daraus ableiten, dass wir uns wärmer anziehen sollten, als bei 20°C.

Viele physikalische Größen lassen sich durch "Messung" in "Ratio-Skalen" abbilden. Das sind Schubladensysteme, bei denen sich reelle Zahlen (zumindest die positiven davon) als "Nummern" für die Einzelschubladen eignen. Dann kann man nett damit herumrechnen. Objektive Aussagen wie: "Karlheinz ist eineinhalb mal so groß wie Kurt und wiegt doppelt so viel" sind damit möglich.

Voraussetzung für Multiplikationen und Divisionen ist hier ein realer Nullpunkt. Es gibt eine Länge = 0 bzw. eine Masse = 0. Das heißt, es gibt zumindest eine Vorstellung davon, dass diese Größen an irgendetwas auch gar nicht vorhanden sein könnten.

Schon bei der Temperatur in der Celsius-Skala klappt das nicht mehr: Zu behaupten, dass 20 °C doppelt so warm ist wie 10 °C mag im ersten Augenblick noch plausibel klingen. Aber dann wären konsequenterweise -20 °C eben auch doppelt so warm wie -10 °C. (Die Temperatur-Skala nach Kelvin baut auf den natürlichen absoluten Nullpunkt auf und löst damit dieses Problem).

Die Celsius-Skala ist keine Ratio- sondern nur eine "Intervall-Skala". Der Unterschied zwischen 10 °C und 20 °C ist tatsächlich so groß, wie der zwischen 80 °C und 90 °C. Additionen und Subtraktionen von Celsius Werten sind also sinnvoll möglich.

Wenn man Leistungen von SchülerInnen misst, hat das mit objektiv vorliegenden, physikalischen Größen wenig zu tun. Ein "power is work per time" wird zwar gerne mal zitiert, trotzdem wird niemand ernsthaft auf die absurde Idee kommen, Schülerleistungen in Watt oder Kilowatt zu messen.

Schülerleistungen sind an sich keine objektiven Größen (wenn man eventuell von bestimmten praktischen Leistungen mal absieht). Sie sind Leistungen von Subjekten, die von anderen Subjekten nach subjektiven Kriterien schubladisiert werden. Bestenfalls sind diese Kriterien "inter-subjektiv" - das heißt, mehrere Subjekte einigen sich auf vergleichbare Maßstäbe. Letztlich bleiben diese Maßstäbe aber zwangsweise "willkürlich".

Ziffernoten stellen weder eine Intervall- noch eine Ratio-Skala dar. Eine "Vier" ist nicht automatisch genau so viel besser als eine "Sechs", wie eine "Eins" besser ist als eine "Drei". Und dass eine "Vier" doppelt so gut oder schlecht wie eine "Zwei" und damit viermal so gut oder schlecht wie eine "Eins" sein soll... hmpf...

Dieser Satz klingt idiotisch. Aber er ist tatsächlich die mathematische Basis unserer besonders objektiv erscheinenden Notenrechnerei.

Ziffernoten sind einfach nur "Ordo-Skaliert". Also "geordnet". Das heißt, eine "Eins" ist irgendwie "besser" als eine "Zwei" und die "besser" als eine "Drei" usw. Damit kann man ein wenig sortieren. So wie man die Worte im Duden nach ihren Anfangsbuchstaben sortiert. Aber die Berechnung von "Durchschittsnoten" zur Charakterisierung von "SchülerInnen" ist wissenschaftlich betrachtet der selbe Schwachsinn, als würde man aus dem Duden ein "Durchschnittswort" der deutschen Sprache errechnen, um diese dann damit zu "charakterisieren".

Und was verraten sie wirklich? Gerade bei Bewerbungen wird gerne auf Noten geschaut. Weil man nicht genau weiß, wo man sonst hinschauen sollte. Ein Bewerber mit ner "Drei" in Mathe... hm... irgendwas wird der wohl können und irgendwas nicht. Das macht eine "Drei" ja wohl aus. Ist der jetzt fit in Geometrie? Oder kann der Prozentrechnen? Einen Schreiner wird da anderes interessieren als einen Einzelhändler.

Konkret:

Ziffernoten werden genutzt, um eine "Objektivität" vorzutäuschen, die weder von der gemessenen Sache her, noch von den verwendeten Messinstrumenten gegeben ist. Diese scheinbare Objektivität gibt dem ganzen Humbug eine pseudo-wissenschaftliche Autorität, wie man sie - aus dem selben Grund - bei Astrologen, Ufologen oder Kaffeesatz-LeserInnen findet.

Sie ersetzen offene Willkür durch quasi automatisierte Schein-Rechnereien - was es für viele LehrerInnen (nicht für alle - einige denken mit!) bequemer macht, weil die Rechenspiele sie von individueller Verantwortung enlasten.

Faktisch sind sie ein Mittel anonymisierter, d.h. "struktureller Gewalt" (im Sinne Johan Galtungs) - und verschärfen die Wirkung auf ihre Opfer, denen nun besonders glaubwürdig vorgerechnet werden kann, dass sie objektiv "mangelhaft" oder "ungenügend" sind.