Der Landesparteitag der Piraten in Bayern möge folgendes Positionspapier beschließen.
Grundrechte von Intersexuellen besser schützen
Intersexualität wird durch die Gesellschaft derzeit meist Verschwiegen. Dies passiert, weil die Existenz dieser Menschen das vorherrschende Binäre Geschlechtermodell unserer Gesellschaft in seinen Grundfesten erschüttert und damit einen integralen Bestandteil der westlichen Kultur angreift.
In einer Zeit, in der sich die klassischen Geschlechterrollen immer mehr auflösen, in der Sexualität nicht mehr zwangsläufig auf einen komplementären Verständnis der Geschlechter aufbaut und in der die Geschlechtsidentität frei wählbar ist, stellt das historische Modell der biologischen Zweigeschlechtlichkeit die letzte Bastion unseres abendländischen
Geschlechtermodells dar. *1
Deswegen werden Zwischengeschlechtliche, also mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geborene Menschen, die man als Intersexuelle, Hermaphroditen oder Zwitter bezeichnet, in unserer Gesellschaft, die nur "Männer" und "Frauen" anerkennt, juristisch, politisch und sozial unsichtbar gemacht.
Grundlegendes
Die Piraten in Bayern setzen sich für das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung für intersexuelle Menschen ein. Hierzu fordern wir:
- Chirurgische und/oder medikamentöse/hormonelle Eingriffe sind erst nach Aufklärung und Beratung, angemessener Bedenkzeit und mit Einwilligung der betroffenen Person durchzuführen, so lange ihnen keine lebensbedrohliche Indikation zugrunde liegt.
- Kosmetische Eingriffe dürfen nur mit ausdrücklicher informierter Einwilligung der betroffenen Menschen unter vollständiger zu dokumentierender schriftlicher Aufklärung erfolgen.
- Die Eltern sind vollumfänglich und wahrheitsgetreu aufzuklären; analog gilt für die betroffenen Menschen selbst eine stufenweise, altersgerechte Aufklärung über ihre Besonderheit.
- Die behandelnden Mediziner haben den betroffenen Menschen über alle gegenwärtigen und zukünftigen Risiken von Eingriffen sowie bei deren Unterlassung vollumfänglich schriftlich aufzuklären. Dies gilt insbesondere bei Entfernung hormonproduzierender Organe und daraus resultierenden medikamentösen Hormonersatztherapien.
- Die behandelnden Mediziner haben den betroffenen Menschen bzw. deren Eltern unaufgefordert bei Entlassung eine vollständige Kopie der Patientenakte auszuhändigen.
- Umfassender Schutz für intersexuelles Leben, auch des ungeborenen Lebens. Intersexualität allein darf kein Abtreibungsgrund sein.
Kompetente Betreuung
Viele Eltern von neugeborenen werden derzeit schlecht Beraten und in einer Situation allein gelassen, mit der sie sich massiv überfordert fühlen, da das Phänomen Intersexualität zu unbekannt ist. Wir fordern daher:
- Schaffung verbindlicher "Standards of care" unter Einbezug der betroffenen Menschen und ihrer Organisationen.
- Bildung von spezialisierten Kompetenzzentren zur Behandlung intersexueller Menschen.
- Ausbildung von auf Intersexualität spezialisierten Fachkräften.
- Bildung von Beratungsteams für Eltern bei Fällen von Intersexualität, bestehend aus Medizinern, Psychologen und betroffenen Menschen sowie betroffenen Eltern ("Peer Support").
- Bildung von Beratungsteams für betroffene Menschen, bestehend aus Medizinern,Psychologen und betroffenen Menschen ("Peer Support"), welche diese von klein auf kontinuierlich unterstützen.
- Flächendeckende Einrichtung von Beratungsstellen für betroffene Menschen und Angehörige, die paritätisch mit nicht betroffenen Spezialisten und betroffenen Menschen besetzt sein müssen.
- Besondere finanzielle und strukturelle Förderung geeigneter Selbsthilfegruppen.
- Einsetzen geeigneter betroffener Menschen als Beobachter von Studien zur Intersexualität.
- Umfassende Evaluierung von Wirkungen und Machbarkeit der verschiedenen nach Kastration notwendigen lebenslangen Hormonersatztherapien nach den individuellen Bedürfnissen und Wünschen der betroffenen Menschen (Testosteron, Östrogen oder beides), sowie unter Berücksichtigung des Lebensalters (ggf. Eintrag der Indikation in die Zulassung des jeweiligen Medikamentes).
Toleranz durch Bildung
Die Unwissenheit der Allgemeinen Bevölkerung über Intersexualität sowie die Fehlende
Fachausbildung sorgt für eine unangemessene Behandlung der Personen sowie eine Intolerante
Haltung vieler Menschen gegenüber den Betroffenen. Wir fordern daher:
- Das Thema "Geschlechtsdifferenzierung und Varianten" wird an allen Schulen Bestandteil der Lehrpläne in Biologie, Sexualkunde und in den sozialen Fächern.
- In der Ausbildung sämtlicher medizinischer und sozialer Berufe, z.B. von ÄrztInnen, Hebammen, Krankenschwestern, PflegerInnen, PsychologInnen, LehrerInnen, KindergärtnerInnen, SozialarbeiterInnen etc., wird Intersexualität verpflichtender Bestandteil des Lehrplans.
Entschädigung und Rehabilitation geschädigter Betroffener
Unsere Gesellschaft hat Intersexuellen Menschen seit Jahrzehnten unrecht getan. Teilweise wurden ihre Geschlechtsteile verstümmelt, belogen und mit Hormonen behandelt, damit sie auf jeden Fall in das Binäre Geschlechtssystem unserer Gesellschaft passen. Hier ist Unrecht passiert. Wir Piraten fordern deshalb:
- Einrichtung eines Hilfs- und Entschädigungsfonds für Betroffene. Der Fonds soll alimentiert werden durch a) den Staat als politisch Verantwortlicher für die Fehlbehandlungen und b) die für die Fehlbehandlungen konkret verantwortlichen ärztlichen Standesorganisationen, zum Beispiel der Endokrinologen, Urologen, Gynäkologen, Kinderchirurgen.
- Generelle Aufstockung der Rentenbeträge aller Betroffenen, die Opfer der Medizin geworden sind, auf das durchschnittliche mittlere Rentenniveau mit der Begründung, dass Intersexuellen durch Traumatisierung und gesundheitsschädigende Hormonbehandlung Zeit für ihr berufliches Fortkommen genommen wird.
- Einrichtung eines Rehabilitationsplanes und eines entsprechenden Zentrums zur Wiederherstellung der körperlichen Gesundheit soweit als möglich.
- Eröffnung und Förderung eines besonderen Zugangs betroffener Menschen zu Bildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Zwecke des Ausgleichs der durch die Gesellschaft erlittenen Suppressionen der sozialen und beruflichen Kompetenz (REHA).
- Rechtsanspruch auf Feststellung der erlittenen Schäden durch ein unabhängiges Gericht, falls frühere Behandlungs-/Befundsberichte nicht mehr zu beschaffen sind.
Rechtsstellung
Die Piratenpartei lehnt die Erfassung des Merkmals "Geschlecht" durch staatliche Behörden
ab. Bis diese Vision allerdings vollständig rechtlich umgesetzt werden kann, wird es
dauern, denn dazu müssen nicht nur alle Gesetze geschlechtsneutral formuliert werden
sondern auch International verhandelt werden. Wir Piraten in Bayern fordern bis dahin:
- Bei Neugeborenen mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen erfolgt beim Standesamt ein lediglich provisorischer Geschlechtseintrag. Geschlechtsneutrale Vornamen sind zulässig.
- Betroffene Menschen haben die Möglichkeit ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit per Willenserklärung eine Änderung des eingetragenen Geschlechts und/oder Vornamens zu erwirken. Falls von der betroffenen Person gewünscht, sind nunmehr auch kosmetische Eingriffe mit informierter Einwilligung der betroffenen Menschen zulässig.
- Volljährige Menschen können ihren Namen und ihr eingetragenes Geschlecht frei wählen.
- Für den Geschlechtseintrag wird als dritte Option zwischengeschlechtlich/intersexuell/zwittrig" eingeführt.
Gleichberechtigtes Leben
Intersexuelle werden aufgrund des fehlenden Bewusstseins der Gesellschaft und der über
Jahrhunderte geprägte Kultur strukturell diskriminiert. In einer modernen Gesellschaft
gilt es diese strukturelle Diskriminierung aufzuweichen und aktiv zu bekämpfen, um ein
gleichberechtigtes Leben aller zu ermöglichen. Wir Piraten fordern deswegen:
- Behörden sollten nach Möglichkeit Anträge und Texte so formulieren, dass sie das Binäre Geschlechtsmodell nicht weiter zementiert
- Regelungen im Öffentlichen Dienst und bei Beamten bei der Einstellung und im weiteren Dienstverlauf sind so anzupassen, das Intersexuelle aufgrund ihrer Medizinischen Situation nicht mehr benachteiligt sind.