Antrag Diskussion:Bundesparteitag 2013.1/Antragsportal/SÄA003

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Mitgliederentscheide, die als geheime Offline-Abstimmungen auf Antrag einer Minderheit durchgeführt werden können, wären eine sehr gute Ergänzung zu nicht-geheimen Online-Abstimmungen.

Ich habe aber dennoch eine Frage zum Antragstext:

Der Bundesrichter a.D. Wolfgang Neskovic sieht bei Personalentscheidungen - anders als euer Antrag - einen ausdrücklichen Parteitagsvorbehalt; eine Urabstimmung etwa über die Wahl des Parteivorsitzenden sei wegen des Parteiengesetzes nicht möglich [1]. Ich halte diese Sicht zwar nicht für das Amen in der Kirche, da meines Erachtens auch eine SMV die entscheidenden Merkmale eines physischen Parteitags erfüllen kann (Zeitgleichheit, Rede und Gegenrede, Möglichkeit der Stellung von Gegenanträgen und zusätzlichen Vorschlägen etc.). Doch wie steht ihr als Antragsteller zu dem Einwand, Personalwahlen seien im Rahmen eines Mitgliederentscheids unzulässig? Auch konsultative, den Parteitag rechtlich nicht bindende Mitgliederbefragungen zu den üblichen Personalentscheidungen seien laut Neskovic rechtswidrig, da sie den Parteitag in die Rolle eines bloßen Erfüllungsgehilfen zwängen und spontane Kandidaturen auf dem Parteitag unverhältnismäßig benachteiligen, wenn nicht unmöglich machen würden. --Jay Kay 17:56, 1. Mai 2013 (CEST)

Antwort

Zum Antrag selbst: In Absatz 1 wird klargestellt, dass Beschlüsse, die laut PartG dem Parteitag vorbehalten sind, d.h. also insbesondere Wahlen von Vorstand und anderen Organen, nicht verbindlich sind, sondern eine Empfehlung an den Parteitag. Davon nicht betroffen wären z.B. Wahlen von Spitzenkandidaten, Themenbeauftragten, Vertrauenspersonen usw. Solche Wahlen werden in der Literatur ausdrücklich bejaht und z.B. bei den Grünen erfolgreich durchgeführt. Den Parteitagsvorbehalt des Parteiengesetzes sehe ich wie Morlok als einen verfassungswidrigen Eingriff in die Freiheit der Gestaltung der innerparteilichen Demokratie.

Ich sehe auch kein Problem damit, dass ein dezentraler Parteitag, den du als hier als SMV bezeichnest, einen Vorstand wählen könnte. Ich denke sogar, dass ein Parteitag prinzipiell nicht nur dezentral, sondern auch zeitlich gestreckt stattfinden könnte; d.h. Rede/Gegenrede könnte per Video aufgezeichnet werden, allen Teilnehmer zur Verfügung gestellt und somit insgesamt mehr Bedenk-, Behandlungs- und Vorbereitungszeit genutzt werden, als dies in einer zeitlich stark kompromierten Versammlung möglich ist. Das GenG §43(7) oder AktG §118 sind da bereits weiter. Auf Grund des enormen Aufwands und der rechtlichen Risiken halte ich es aber nicht für sinnvoll, das auf Bundesebene auszuprobieren.

Zur Basisbefragung bzw. Konsultative Befragung (hier unpassend, da die Initiative von der Basis kommt) zu Personenfragen: ja, ich halte sie nicht nur für legitim, sondern auch für notwendig. Denn die Piraten verzichten auf ein Delegiertensystem und versagen damit einem Grossteil der Mitglieder eine angemessene Mitwirkung und Changengleichheit bei der Willensbildung, die durch Delegierte zumindest indirekt und ortsunabhängig herstellt wäre. Dadurch sind bisher Vorstandswahlen nachweisbar sehr stark vom Veranstaltungsort abhängig und keineswegs repräsentativ für die Partei.

Neskovic und auch die Gesetzeskommentare gehen wie selbstständlich von den bei fast allen Parteien vorhandenen Vertreterversammlungen und besonderem Einfluss von Vorständen aus. Daher sind deren Schlussfolgerungen nicht ohne weiteres übertragbar. Bei den Piraten unterscheidet sich der Parteitag nämlich nur dadurch vom Basisentscheid, dass er zentral und zeitlich stark begrenzt als Einzelversammlung stattfindet, aber prinzipiell den gleichen Teilnehmerkreis hat. Beim Basisentscheid wären die tatsächlichen Teilnehmer jedoch viel repräsentativer, da die Teilnahme kaum noch durch zeitliche und räumliche Grenzen beschränkt wäre. Zusätzlich könnten durch moderne Kommunikationswege und -konzepte, die teils noch viel Potential zur Weiterentwicklung haben, eine wesentlich bessere Willensbildung als an einem klassischen Parteitag stattfinden. Denn durch neue Tools liessen sich prinzipiell kollaborativ und mit geringerem Zeitdruck viel besser die Spreu vom Weizen trennen (Argumente, Positionen, Fragen an Kandidaten) als durch ein paar wenige per Los ermittelte Redner in einer Redeliste. Auf Piratenparteitagen geschieht ohnehin die Meinungsfindung überwiegend vor der Veranstaltung oder aus dem Bauch heraus.

Es ist verständlich, dass ein paar ältere Semester noch an anachronistischen Einzel-Realversammlungen hängen, und alles Neue ablehen, obwohl sämtlich vermeintliche Nachteile der neuen Formen auch auf die Realversammlung zutreffen. z.B. kann niemand dazu gezwungen werden, auf dem Parteitag ständig alles mitzuverfolgen. Die Teilnehmer wären mE sogar bereiter sich mit allen Inhalten zu beschäftigen, wenn durch einen Prozess die für die persönlich relevanten Informationen gut aufbereitet wären. Genau das ist mE die Chance der Piraten in der Informationsgesellschaft, und nicht, wie man seine Stimme möglichst einfach andere Personen weitergibt. Von solchen Entwicklungen und Tools könnten letzendlich auch das gesamte Staatswesen profitieren.

Selbstverständlich gibt es bei Realversammlungen noch die soziale Komponente, die aber durch Entkoppelung von Parteitagspflichten z.B. auf Barcamps noch viel besser zur Geltung kommen könnte.

Die faktische Bindungswirkung durch eine Basisbefragung ist durchaus beachsichtigt, insbesondere wenn deren Entscheidung wesentlich besser demokratisch legitimiert und repräsentativer ist, als die eines Parteitags. Dann würde der Entscheidungsdruck auf den Parteitag entfallen und es wären in Zukunft auch kostensparende, bestätigende Vertretersammlungen mit höherem sozialen Charakter möglich. Diese Möglichkeit hat Neskovic garnicht erst erwogen.

Neskovic geht auch noch von einer Altpartei aus, bei der Vorstände Kandidaten vorschlagen. Es gibt keinen Grund, warum das Wahlvorschlagsrecht des Parteitags eingeschränkt wäre, wenn jedes Mitglied bereits bei der Basisbefragung vorgeschlagen werden kann. Selbstverständlich würde der Parteitag Informationen berücksichtigen können, die zur Basisbefragung nicht Verfügung standen.

Für weiteres zum Thema empfehle ich das Buch Direkte Demokratie in der innerparteilichen Willensbildung / Klaus Seidel