2010-03-04 - Bundesvorstandssitzung/Bericht zum Piraten Sextant (Niedersachsen)

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Einleitung und Kurzzusammenfassung:

Wie wir gebeten wurden, haben wir einen landesweiten Testlauf zum Voting-Tool "Piraten-Sextant" durchgeführt und möchten dem Bundesvorstand nunmehr den gewünschten Bericht dazu übermitteln.

Einleitend kann man zunächst zusammenfassend sagen, dass wir tendenziell zu der Überzeugung gekommen sind, dass es nicht nur ein Voting-Tool gibt, dass alle Grundbedingungen und Anwendungsfälle abdecken kann. Der Piraten-Sextant hat deutliche Stärken, die bspw. Liquid Feedback nicht vorweisen kann und umgekehrt.

Der Sextant ist hervorragend für schnelle und anonyme Meinungsbilder ohne vorheriges Studium der Bedienungsweise geeignet.

Testzugänge:

Der Bundesvorstand kann sich von der Bedienung des Sextanten einen eigenen Eindruck verschaffen. Wir haben durch die Mandantenfähigkeit des Sextanten eine eigene "Testumgebung" in Form eines fiktiven Kreisverbandes geschaffen.

Der Bundesvorstand bekommt für den Sextanten vereinfachte Testzugänge, durch den er selbst direkte Erfahrung mit dem Sextanten machen kann.

Screenshots:

Detaillierter Bericht:

Grundsätzliches:

Seit der Beschlußfassung zum Testlauf und der Betrachtung der verschiedenen Voting-Tools hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass es nicht DAS Voting-Tool gibt, dass alle Anwendungsfälle und Grundbedingungen gleichermaßen gut erfüllen kann, sondern das es - wie fast immer - darauf ankommt, was man mit der Auswahl des Voting-Tools bezwecken möchte bzw. welche Grundbedingungen es erfüllen soll.

Wir sehen es daher selbst als nicht ideal an, innerparteilich nur ein Voting-Tool einzusetzen. Verschiedene Voting-Tools können sehr gut nebeneinander existieren und dann je nach Anwendungsfall als das geeignete Werkzeug dafür dienen, die Meinung festzustellen und abzubilden.

Um einmal einige deutliche Unterschiede zwischen dem Sextanten und den bereits weiträumig dargestellten LiquidFeedback darzustellen:

  • LiquidFeedback:
    • bildet Liquid Democracy ab
    • strukturiert ganze Diskurse und ist besonders zur Programmentwicklung geeignet
    • ist jedoch verhältnismäßig komplex
    • erlaubt keine "anonymen Abstimmungen".
  • Der Sextant:
    • soll sich nur auf einfache Meinungsbilder beschränken
    • ist mandantenfähig (kann leicht für Meinungsbilder beliebiger Untergliederungen/Gruppen verwendet werden)
    • durch seine einfache Strukturierung und Benutzerführung sehr leicht auch für nicht IT-affine Nutzer sofort verständlich
    • bietet ein hohes Maß an Anonymität (wichtig für Mitpiraten mit ausgeprägter E-Voting-Aversion)

Wie man schon hier deutlich sehen kann, sind die beiden Voting-Tools schon in ihrer Grundausrichtung völlig unterschiedlich. Beide Tools haben durch ihre Verschiedenartigkeit deutliche Vorzüge auf ihrem jeweiligen Gebiet.

Facts zum Testlauf:

  • Der landesweite Testlauf in Niedersachsen dauerte ca. 2 Wochen.
  • In dieser Zeit wurden effektiv ca. 920 Piraten eingeladen, den Sextanten probeweise zu nutzen
  • 350 Piraten meldet sich daraufhin für den Testlauf an
  • 185 Piraten nahmen aktiv am ersten Testlauf teil

Zu erkennen war, dass sich diese neue Form der Meinungskundgabe erst herumsprechen musste. Der Landesvorstand musste per Mail ein Reminder versenden, da der Testlauf zunächst von einigen Mitgliedern nicht sofort registriert wurde.

Während des Testlaufes selbst traten nur sehr wenige Probleme auf, die hauptsächlich auf Fehler beim Login zurückzuführen waren

Die eigentliche Bedienung scheint dagegen äußerst problemlos verlaufen zu sein. Während der gesamten Testphase gab es keine einzige Störungsmeldung. Insofern erwies sich der Sextant in der Bedienung als sehr robust und wenig fehleranfällig.

Erfahrungen:

Kritisch fiel beim Testlauf auf, dass beim Übergang von Phase I (Sammlung der möglichen Antwortoptionen durch die Mitglieder) zu Phase II (Abstimmung) eine redaktionelle Bearbeitung notwendig wurde. Hier fragten sich vorallem die für den Testlauf Verantwortlichen, wie man zukünftig die kritische redaktionelle Bearbeitung der in Phase I vorgeschlagenen Antwortoption entschärfen könnte.

Sicherheitshalber wurden alle Eingriffe der Administratoren exakt dokumentiert, um diese ggf. nachvollziehbar zu gestalten.

Diskussionen:

Es gab natürlich vor und während des Testlaufes einige Diskussionen, die geführt wurden und hier möglichst wertungsfrei dargestellt werden sollen.

1.) Es wurde während der Vorbereitungsphase die Befürchtung über die Sicherheit von Mitgliedsdaten geäußert, die Sicherheit ist jedoch durch das eingesetzte Open-ID-Verfahren sehr hoch. Einzig die Mail-Addresse des Mitglieds könnte mit einigem Aufwand aus dem MD5-Hash ermittelt werden. Alle anderen Daten werden nicht verwendet und sind daher auch nicht ermittelbar. Dieser Punkt wurde vor dem Testlauf nochmals überprüft, wodurch sich auch eine Verzögerung ergab.

Berichtigung: Ich wurde dahingehend korrigiert, dass auch die Mail-Adresse nach dem jetzigen Verfahren nicht ermittelt werden kann.

2.) Darüber hinaus gab es vereinzelt allgemeine Kritik von Mitgliedern an Voting-Tools an sich, da diese laut der Meinung der Kritiker nicht für verbindliche Wahlen und Abstimmungen eingesetzt werden können. Jedoch bejahten auch diese kritischen Stimmen grundsätzlich, dass Voting-Tools wie der Sextant für Meinungsbilder verwendet werden könnten. Es wurde jedoch Wert darauf gelegt, dass diese nicht automatisch auch einen verbindlichen Charakter aufweisen, sondern als Grundlage für die Beschlußfassung durch die zuständigen Gremien dienen und entsprechend hinterfragt und interpretiert werden müssen.

3.) Ansonsten entstand teilweise Diskussionsbedarf über das richtige Maß der möglichen Punkteverteilung im Sextanten bei der Gewichtung des persönlichen Abstimmungsverhaltens der Mitglieder in Phase II. Zur Erklärung: Im Sextanten wird nicht nur Ja/Nein/Enthaltung abgefragt, sondern die Mitglieder können auch zuvor festgelegte Punkte verteilen und damit Ihre Stimme differenzierter gewichten und damit priorisieren.

Es kam dabei die Frage auf, wie sehr einzelne Extrempositionen Einfluß auf das Gesamtergebnis haben sollten. Ein Teil sah hier Manipulationsmöglichkeiten, da einige wenige ein spezielles Thema pushen könnten, das allgemein nur durchschnittlich bewertet wurde.

Ein anderer Teil vertrat die Auffassung, dass es durchaus auch möglich sein soll Positionen, die einem Mitglied besonders wichtig sind, entsprechend zu gewichten, wenn man dafür bereit ist, andere Antwortoptionen notwenigerweise zu "vernachlässigen". Da man dies jedoch im Sextanten genauer eingrenzen kann, wurde dies eher so gesehen, dass die Vergabemöglichkeit von Antwortpunkten je nach Fragestellung gestaltet werden müsse. Hier wurde die Notwendigkeit eines weiteren Lern-Prozesses gesehen.

Fazit:

Gerade die Benutzerführung ist bei Liquid Feedback äußerst komplex und die Einstiegshürden verhältnismäßig hoch. Bereits jetzt kursieren Lehrvideos, bei denen dem Nutzer zunächst die Bedienung erklärt werden soll. Es war in unserem Testlauf sehr interessant, dass gerade die einfache Bedienung des Sextanten sich auch objektiv durch die fehlenden Beschwerden deutlich als Stärke abzeichnete. Der Piraten-Sextant hat sich daher in diesem Punkt als äußerst zuverlässig erwiesen. Er ist hier daher wesentlich intuitiver und für Einsteiger geeignet.

Darüber hinaus ist die Möglichkeit für anonyme Abstimmungen für viele Benutzer sehr wichtig. Die Dokumentation des persönlichen Abstimmverhaltens wie bei LF ist nicht überall gern gesehen und wird teilweise sogar als problematisch erachtet.

Ein besonderes interessante Möglichkeit hat der Sextant durch seine Mandantenfähigkeit. Er kann nicht nur die Meinung einer Gliederungsebene als Gesamtheit abbilden, sondern auch sehr einfach auch die von Untergliederungen, wie etwa der von Kreisverbänden. Dies ist nicht nur für reine Abstimmungen der Kreise möglich, sondern auch bei bspw. landesweiten Abstimmungen können die Meinungen der Gliederungen spezifisch festgestellt werden. Hier hat der Sextant eine sehr große Detailschärfe.

Die aufgetretenen Fragen sind ein Stück weit auf die Neuheit des Tools zurückzuführen. Man muss jedoch berücksichtigen, dass der Entwicklungsstand des Sextanten objektiv gesehen zum Zeitpunkt der Beschlußfassung über den Testlauf noch nicht so weit vorangeschritten war, wie das beim Tool der Berliner der Fall war. Deshalb musste noch vor dem eigentlichen Test wichtige Rahmenbedingungen geklärt werden. Trotz dessen war der Sextant in der Lage mit seinen Stärken zu überzeugen.

Von uns waren außerdem viele auf der Marina von den Möglichkeiten von Liquid Feedback zur strukturierten Programmentwicklung sehr beeindruckt. Die Grundüberzeugung tendiert jedoch dahin, dass der Piraten-Sextant genau die Dinge abzudecken im Stande ist, bei denen Liquid Feedback Schwächen aufweist. Deshalb ergänzen sich beide Tools nach unserer Auffassung ausgezeichnet.

Wir sind deshalb sehr daran interessiert, beide Tools im Mischbetrieb zu testen, um die jeweiligen anwendungsfallbezogenen Stärken der beiden Tools genauer untersuchen zu können. Der LV Niedersachsen tendiert dahin beide Tools für sich nutzen zu wollen.

Neutrale Darstellung und Fragen:

Michael Vogel vom LV Hamburg wird während der Vorstandssitzung anwesend sein, um nochmal die wesentlichen Unterschiede darzustellen und ggf. Fragen zu beantworten, da er sich auch intensiv mit dem Sextanten beschäftigt hat. Leider ist seine Darstellung während der Marina in Kassel etwas zu kurz gekommen.

Michael ist aus unserer Perspektive am Besten in der Lage alle Voting-Tools betreffenden Fragen neutral darzustellen, weshalb wir ihn gebeten haben, dies während der Vorstandssitzung für uns zu machen, da wir zu einer differenzierten Einschätzung beitragen wollen.