Piratenmagazin Was ist Filesharing?

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Tango-system-file-manager.svg Dieser Artikel wurde bereits in der 1. Ausgabe des Piratenmagazins veröffentlicht. Korrekturen sind zwar erwünscht, fließen jedoch nicht mehr ins Magazin ein.

Vorwort

Die Piratenpartei ist aus der Auseinandersetzung um Filesharing entstanden. Da Urheberrechte aus wirtschaftlichen Interessen ausgeweitet und Konsumentenrechte eingeschränkt werden, braucht die Diskussion in Deutschland ein Gegengewicht wie die Piratenpartei, die fundiert und sachlich die negativen Folgen der gegenwärtigen Entwicklung aufzeigt und sich für Alternativen einsetzt.

Essenziell für die Arbeit der Piratenpartei ist ein fundiertes und klares und einheitliches Verständnis über die verwendeten Begriffe. Dazu möchten wir mit diesem Vorabauszug aus unserer Diplomarbeit beitragen, in dem wir den Begriff 'Filesharing' aus technischer und historischer Sicht definieren.

Es gibt zwei wesentliche Verständnisse des Begriffes Filesharing, die sich gegenseitig ausschließen:

Einerseits gibt es die Meinung, dass Filesharing Diebstahl am geistigem Eigentum darstellt, während andere unter Filesharing das Teilen und Vermehren von Wissen verstehen.
Auf der anderen Seite stehen Einzelpersonen, NGOs wie z.B. Verbraucherschutzverbände und die Piratenparteien. Die deutsche Piratenpartei definiert ihre Forderung im Abschnitt "Freies Kopieren und freie Nutzung" des Parteiprogramms.
Ihr Ziel ist, "das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern, um die allgemeine Verfügbarkeit von Information, Wissen und Kultur zu verbessern, denn dies stellt eine essentielle Grundvoraussetzung für die soziale, technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft dar." (Piratenpartei Deutschland 2006)

Diese Bedeutung ist sowohl mit dem wissenschaftlichen Diskurs als auch dem gesellschaftlichen Verständnis von Filesharing konform.

Filesharing - Eine Begriffsklärung

Motivation

Derzeit findet eine rege Debatte um Filesharing statt, ohne dass die Teilnehmer sich auf eine gemeinsame Definition für den grundlegendsten Begriff 'Filesharing' geeinigt haben. Entweder ist eine genaue Definition schwierig oder der Begriff wird nach dem Ziel der argumentierenden Personen beliebig umgedeutet. Diese Entwicklung ist durchaus verständlich, verfügen doch viele wissenschaftliche Fachrichtungen gar nicht über die Konzepte und das Vokabular, um das Phänomen Filesharing zu beschreiben.

Wortanalyse 'Filesharing'

Für eine logisch stringente und klare Definition aus der Informatik, ist die Analyse des Wortes 'Filesharing' und die Betrachtung der technischen Entwicklung zwingend erforderlich.
Intuitiv ist Filesharing der Austausch von Dateien zwischen Benutzern.
Genauer: Sharing: Das englische 'sharing' hat wie das deutsche 'teilen' zwei Bedeutungen, die sich aus der Art des geteilten Guts ergeben. Unterschieden werden materielle Güter, die nur begrenzt vorhanden sein können (wie ein Kuchen oder Fahrrad) und immaterielle Güter, die beliebig oft reproduzierbar sind (wie Ideen oder Lieder).

Werden materielle Güter geteilt, so vermindert sich mit jeder zusätzlich teilhabenden Person der Nutzwert pro Person: Die Stücke eines Kuchens, der in drei Teile geteilt wird, sind kleiner als die eines Kuchens, der halbiert wird. Einige materielle Güter wie Fahrräder, die nur eine exklusive Nutzung erlauben, können nicht sinnvoll in mehrere Teile aufgeteilt werden. Solche Güter können aber über die Zeit geteilt werden. Das Fahrrad steht dann für jeden Nutzer nur über einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung, innerhalb dessen allerdings mit seinem vollen Nutzwert. In diesem Sinne wird Sharing auch als 'gemeinsame Nutzung' übersetzt.

Immaterielle Güter unterliegen beim Teilen nicht den Einschränkungen materieller Güter. Das Sharing oder Teilen immaterieller Güter muss vielmehr als Kopieren verstanden werden. Teilt ein Programmierer sein angesammeltes Wissen mit einem unerfahrenen Lehrling, so sind am Ende beide im Besitz des Wissens.

Dieses Prinzip lässt sich auf alle immateriellen Güter ausdehnen, insbesondere auf Wissen und Informationen. Thomas Jefferson formulierte das so: "He who receives an idea from me, receives instruction himself without lessening mine; as he who lights his taper at mine, re-ceives light without darkening me." (Jefferson 1813) ("Er, der eine Idee von mir erhält, erhält selbst Wissen, ohne meines zu schmälern; wie er, der seine Kerze bei mir entzündet, erhält er Licht ohne meines zu verdunkeln.")


Sharing
kann bei immateriellen Gütern daher nicht nur als 'teilen' sondern auch als 'teilhaben', 'verteilen', 'vermehren' oder 'lehren' übersetzt werden.

File:
Hierbei handelt es sich um die Bezeichnung des geteilten Gutes. 'File' ist englisch und bedeutet Datei. In der Informatik versteht man unter einer Datei eine strukturierte Ansammlung von Daten. Werden diese Daten vom Menschen interpretiert, spricht man von Informationen, oder andersrum: Daten sind nichts anderes als maschinenlesbare Informationen. Die synonyme Verwendung von Datei mit Informationen wird noch deutlicher, wenn die weiteren Bedeutungen von 'File' im Englischen berücksichtigt werden: Akte, Hefter, Mappe, etc. Ob ein Kuchenrezept nun in einem Ordner abgeheftet ist, in einer Mappe liegt oder als .html-Datei auf der Festplatte gespeichert ist - das Rezept ist die für den Menschen relevante Information, nicht die Form, in der es abgelegt ist. Das macht deutlich, dass mit 'file' nicht der Container sondern die darin enthaltene Information gemeint ist.
Führt man die beiden Begriffe 'file' und 'sharing' zusammen, kann mit Sharing nur das nicht-exklusive Teilen gemeint sein. Filesharing bedeutet, dass eine Person eine Andere an ihren Informationen teilhaben lässt. Nach dem Teilvorgang haben mehr Personen Zugriff auf die geteilte Information als davor. Zusammengefasst:
Filesharing ist der nichtexklusive Zugriff auf Informationen mittels Computern.

Missverständnisse um die Reichweite des Begriffs Filesharing

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Filesharing oft in einem engeren Sinne als dem hier verwendeten gebraucht. Noch vor wenigen Jahren wurden Informationen hauptsächlich über physikalische Datenträger wie Disketten und CDs weitergegeben . Darin sehen wir heute den Ursprung des Filesharings. Mit der zunehmenden Verbreitung des Internets wurde das Tauschen spezieller Informationen wie Musik, Filmen und Software über Computernetzwerke als Filesharing verstanden. Die extremste Einschränkung des Begriffes ist seine Gleichsetzung mit dem Tauschen urheberrechtlich geschützter Inhalte über Peer-to-Peer-Filesharingnetze.

Dass diese verkürzte Verwendung irreführend ist, wird deutlich, wenn man grundlegende Anwendungen des Internets betrachtet. Das World Wide Web z.B. funktioniert, indem Server HTML-Dateien verbreiten, die ein Webbrowser herunterlädt und anzeigt. Das Betrachten einer Internetseite ist demnach nichts anderes als ein Filesharing-Vorgang, also der nichtexklusive Zugriff auf bestimmte Informationen. Der Effekt ist derselbe, als würde er die Informationen über P2P-Tauschbörsen wie BitTorrent, eDonkey oder Kazaa bereitstellen.
Ähnlich verhält es sich bei E-Mail: Die darin enthaltene Information wird dupliziert und liegt dann sowohl beim Absender, als auch beim Empfänger vor. Auch hier handelt es sich wieder um einen nichtexklusiven Zugriff auf Informationen. Aus technischer Sicht 'verschickt' der Absender eine E-Mail, indem er sie auf einen Server kopiert, und der Empfänger lädt sie dann von einem anderen Server herunter. In der Tat ist man nicht in der Lage zu kontrollieren, ob und welche der zwischenliegenden Relais-Server auch noch Kopien dieser E-Mail vorhalten, so dass es zu weiteren (unbeabsichtigten) Zugriffsvorgängen auf die versendeten Informationen kommen kann.

Tatsächlich sind alle Internet-Dienste darauf aufgebaut, dass Daten und damit Informationen kopiert werden. Oft ist die Umsetzung der Systeme so, dass es für den Benutzer erscheint, als würden Informationen bewegt anstatt kopiert. Ein einfaches Beispiel dafür ist cut'n'paste, Ausschneiden und Einsetzen. Aus Benutzersicht wird das Objekt bewegt, ähnlich einem Auto, das umgeparkt wird. Tatsächlich handelt es sich jedoch um die Verknüpfung eines Kopier- und eines Löschvorgangs. Mit Hilfe von Programmen wird versucht, bei immateriellen Gütern bestimmte Eigenschaften materieller Güter vorzutäuschen. Damit entstehen Abstraktionen, die den gewohnten Arbeitsumgebungen der Nutzer entsprechen (wie einem Dokument, das man von einem Ordner in einen anderen legen kann). Die Verwendung dieser Abstraktionen erleichtern dem Nutzer das intuitive Verständnis der Programme.
Diese Abstraktionen haben jedoch den Nachteil, dass sie verdecken, was tatsächlich passiert. Damit sorgen sie in dieser Diskussion für Verwirrung und erschweren es, die eigentlichen Potentiale der Filesharing-Technologie zu sehen. Immaterielle Güter haben andere Eigenschaften als materielle Güter. Die für uns wichtigste Eigenschaft ist die nahezu kostenfreie Kopierbarkeit immaterieller Güter, deren Durchführung Filesharing ist. Filesharing ist als Begriff damit äquivalent zu beliebigem Informationsaustausch zwischen Menschen über Computernetzwerke.
Der Begriff Filesharing muss sich also über Tauschbörsen wie Napster, Gnutella, eDonkey und BitTorrent hinaus ausdehnen und alle Anwendungen des Internets wie E-Mail und das World Wide Web mit einbeziehen.

Filesharing bedeutet, digitale Informationen zur Verfügung zu stellen. Jeder Informationsaustausch zwischen Menschen, bei dem der Computer als Medium genutzt wird, ist damit Filesharing. Dies ist auch in der oben genannten Definition, 'Filesharing ist der nichtexklusive Zugriff auf Informationen mittels Computern.', enthalten, aber noch nicht explizit gesagt. Daraus folgt dann: Das gesamte Internet basiert auf Filesharing, und alle Regulierungen, Normen oder Infrastrukturänderungen, die Filesharing betreffen, wirken sich auf das gesamte Internet aus.

Fazit

Der Begriff Filesharing beschreibt das ganze Internet, denn das ganze Internet ist auf Filesharing-Technologien aufgebaut. Es ist daher unsinnig, Filesharing als schlecht zu definieren. Vor allem wirkt sich jede Regulierung, die die Möglichkeiten von Filesharing einschränkt, viel weiter aus, als nur auf P2P-Tauschbörsen.

Anmerkung

Dieser Text basiert auf Vorabauszügen unserer Diplomarbeit: "Filesharing: Parallele Entwicklung rechtlicher, technischer und gesellschaftlicher Aspekte" (Häcker, Janson 2006) an der TU Berlin.. Wir veröffentlichen den Teil: "Definition des Wortes Filesharing", da der Mangel an fundierten und klar definierten Begriffen eine ernsthafte Debatte um das Thema Filesha-ring massiv erschwert.