LiquidFeedback/Themendiskussion/781

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Initiative 1606 – »Bekenntnis zum Humanismus«

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Initiative 1609 – »Grundlagen und Ziele piratiger Politik«

Der Bundesparteitag möge als Ergänzung des Parteiprogramms beschließen:

Grundlagen und Ziele piratiger Politik

Wir Piraten bauen auf den freien Menschen und seine Eingebundenheit in die Natur. Wir sehen darin die Grundlage aller menschengemachten gesellschaftlichen und politischen Ordnung. Wir erkennen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die Grundlage unseres politischen Handelns. Wir berufen uns insbesondere auf ihren Artikel 1: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.«

Gesellschaft und Staat beruhen auf der Übereinkunft freier Menschen. Umfassende Freiheit eignet nur dem Eremiten. Wo Menschen zusammenleben, brauchen und entwickeln sie Regeln und Strukturen. Wir berufen uns auf die im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland seit 1949 festgelegten Grundrechte und bekennen uns insbesondere zu den Staatsgrundsätzen in seinem Artikel 20: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.«

Die Menschen sind verführbar – gerade auch durch die Ausübung von Macht. Wir Piraten bekennen uns daher zum Grundsatz der Gewaltenteilung. Durch ein System von »checks and balances« lassen sich Herrschaftsstrukturen verhindern, die eine demokratische und zeitlich begrenzte Legitimation sprengen. Wir bekennen uns zu den demokratisch legitimierten Gewalten der Gesetzgebung, der Gesetzesausführung und der gerichtlichen Kontrolle. Wir Piraten setzen uns dafür ein, dass diese klassischen Gewalten des gewaltenteiligen Staatswesens ihre jeweiligen Aufgaben wieder unbehindert wahrnehmen können. Insbesondere genießt die Gesetzgebung bei der Gestaltung der politischen Verhältnisse Vorrang.

Der Staat handelt nicht aus eigener Kraft. Er ist das Instrument freier Menschen, seiner Staatsbürger, um ihr Zusammenleben zu regeln. Gesellschaft und Staat haben die Aufgabe, den Menschen das größtmögliche Maß an Selbstbestimmung, Freiheit und Entwicklungsmöglichkeit zu sichern. Sie müssen für alle die Freiheit von Unterdrückung und staatlicher Benachteiligung gewährleisten. Daraus ergeben sich die Grenzen staatlichen Handelns und staatlicher Macht.

Die Freiheit der Staatsbürger lässt sich nur verwirklichen, wenn sie rechtlich gleichgestellt sind. Das Staatswesen hat aber nicht nur eine formale rechtliche Gleichstellung zu sichern, sondern auch Vorsorge zu treffen, dass aus individuellen Meinungen und Vorurteilen keine Benachteiligung von Menschengruppen in Staat und Gesellschaft erwächst.

Die Freiheit der Menschen setzt ein Mindestmaß an materieller Teilhabemöglichkeit am gesellschaftlichen Leben voraus. Der freiheitliche Staat hat daher die Grundsätze der Brüderlichkeit zu leben. Er berücksichtigt, dass individueller Wohlstand einzelner immer auch eine Komponente des gemeinsamen und gesellschaftlichen Erwerbs solchen Wohlstands enthält.

Zu unserem Selbstverständnis gehört, dass politische Entscheidungen dort getroffen werden, wo die örtliche Erfahrung und Kompetenz vorhanden ist. Wir entscheiden uns eher für die daraus erwachsende Vielfalt politischen und gesellschaftlichen Handelns und Engagements, als für eine zumeist als bürokratisch wahrgenommene Einheitlichkeit. Zugleich erkennen wir, dass für eine weitläufigere Welt Kompatibilität einen eigenen Wert darstellt. Es gilt also im politischen Leben, Vielfalt und Kompatibilität zu verbinden.

Vielfalt und Kompatibilität des politischen, gesellschaftlichen und praktischen Lebens haben mit der Globalisierung der Informationsnetze eine neue Dimension gewonnen. Wo Menschen nahezu in Echtzeit weltweit ihre Gedanken und Meinungen austauschen und publizieren können, verlieren die traditionellen Formen kanalisierter Informationsvermittlung Macht und Wirksamkeit. Auf den neuen Vertriebswegen für Information und Wissen sind neue Formen der Nutzungsregelung erforderlich: Statt überkommener Verwertungsbeschränkungen ermöglicht ein offener Umgang mit Informationen und Immaterialgütern, dass Innovation schneller und effektiver bis zur Anwendungsreife entwickelt werden kann.

Die Wechselwirkungen dieser neu gewonnenen Innovations-, Informations- und Publikationsfreiheit mit den Gefahren der Überwachung und des Missbrauchs solcher Informationen für Diskriminierung und Benachteiligung fordern erhebliche Anstrengungen, die Medienkompetenz der Bürger zu stärken. Das gilt umso mehr, als Informationen, die einmal im Netz verfügbar gemacht wurden, üblicherweise nicht mehr rückholbar sind und zu beliebigen Zeitpunkten an beliebiger Stelle wieder sichtbar werden können, selbst wenn man versucht, sie an ihrer ursprünglichen Adresse physisch zu löschen. Technische Lösungen gegen diese Entwicklung gibt es nicht. Netzsperren sind ein untauglicher Versuch, im Netz vorhandene Inhalte zu verbergen; im Kampf gegen strafbare Netzinhalte hilft nur, dieses Übel an der Wurzel (beim physischen Speicherort und beim inhaltlich Verantwortlichen) zu packen.

Die Informationsgesellschaft schafft auch die Notwendigkeit, einen neuen und globalen Konsens darüber zu entwickeln, wie Auffassungen und Anschauungen anderer Nutzer geachtet und die Freiheit der Information global gesichert werden kann.

Zu unserem Selbstverständnis gehört ebenfalls, dass Aufgaben, die im gemeinsamen, zivilgesellschaftlichen Engagement der Bürger wahrgenommen werden können, besser ohne direktes Eingreifen politischer Instanzen übernommen werden sollen. Wir bekennen uns zu einer weltanschaulich neutralen Subsidiarität sozialer Aufgaben.

Wir nehmen Partei für den Vorrang des individuellen Engagements vor dem kollektiven Handeln. Wir stehen für einen funktionierenden wirtschaftlichen Wettbewerb gleichberechtigter Teilnehmer an einem offenen Markt. Es ist die Aufgabe des Staats, Beteiligungschancen und Wettbewerb zu sichern und den immanenten Tendenzen zur Wettbewerbsbeschränkung entgegenzuwirken.

Demokratie bewährt sich im gesellschaftlichen Wettstreit der Ideen und Interessengruppen. Der Staat hat in seinen Entscheidungen zu beachten, dass sein Handeln demokratisch legitimiert sein und dabei die Interessen aller Bürger berücksichtigen muss. Der Staat darf sich nicht zum Spielball mächtiger Interessengruppen machen lassen.

Für Piraten steht der Mensch im Mittelpunkt ihres politischen Handelns. Ziel ist es, die Freiheit des einzelnen auf die Grundlage gelebter rechtlicher und materieller Entfaltungschancen in Staat und Gesellschaft zu stellen.

Begründung (nicht Bestandteil des Antrags)

Der Antrag war als GP068 bereits zum Bundesparteitag in Chemnitz und als PA049 zum Bundesparteitag in Heidenheim eingebracht worden, wurde dort aber nicht behandelt.

Eine sinnvolle Einordnung könnte den Text als Präambel zum Parteiprogramm vorsehen.

Warum erneut als Initiative in LiquidFeedback?

Politische Diskussionen entwickeln sich weiter. Anträge sind zeitgebunden und erreichen daher immer nur einen Grad der Beschlussreife, der durch neue Erkenntnisse und Alternativen überholt werden kann. Daher scheint eine erneute Diskussion in LiquidFeedback sinnvoll.

Die diesem Antrag zugrundeliegende Initiative fand im LiquidFeedback-System des Bundesverbandes eine mehrheitliche Zustimmung:

Ja: 186 (61%) • Enthaltung: 71 • Nein: 117 (39%)
https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/1237.html

Diskussion

Anregungen

  • zur Anregung 3303: Es spricht nichts dagegen, an der angesprochenen Stelle »Medienkompetenz der Bürger« statt »Medienkompetenz der Netzbürger« zu schreiben. Die Bezeichnung Netzbürger sollte keine Einschränkung sondern eine Erläuterung bilden, welches Partialinteresse im konkreten Zusammenhang gemeint ist. --etz 16:26, 5. Sep. 2011 (CEST)
  • zur Anregung 3330: Der Link zur aktuellen Wiki-Diskussionsseite befindet sich bei jeder Initiative mit der Bezeichnung »Diskussion zum Thema« in der Zeile unterhalb der Angabe der Themen-Nummer. Die früheren Initiativen sind im Initiativentext und auf der Wiki-Seite verlinkt. --etz 08:24, 21. Sep. 2011 (CEST)
  • zur Anregung 3339: Wettbewerbsbeschränkungen ergeben sich nicht erst bei Monopol-Bildung. Wettbewerb ist bereits defekt, wenn Kartelle oder Oligopole existieren. Deshalb ist die allgemeinere Formulierung mMn die geeignetere. In einem wirtschaftspolitischen Kapitel muss das weiter ausgeführt werden. vgl. auch Antrag PA021 vom BPT 2011.1 und Antrag GP017 vom BPT2010.2. --etz 00:58, 23. Sep. 2011 (CEST) – Die Initiative steht inzwischen als Initiative 1641 erneut im Liquid-System zur Diskussion. etz 15:22, 25. Sep. 2011 (CEST)
  • zur Anregung 3340: Auch hier würde ich es besser finden, die konkrete Ausformulierung einem eigenen, späteren Kapitel im Programm zu überlassen. Erneut sei auf den Antrag für ein wirtschaftspolitisches Kapitel verwiesen. Ergänzend dazu gibt es ein Positionspapier, das im Moment gerade als Hoheitliche Aufgaben und Infrastruktur im Bundes-Liquid diskutiert wird/wurde. --etz 00:58, 23. Sep. 2011 (CEST)
  • zur Anregung 3399: Die Vorschläge zum Streichen verschiedener Absätze kann ich nicht als gerechtfertigt ansehen (zumal in der Anregung die Absätze nicht eindeutig benannt sind!). Dass die Macht des Staates Grenzen hat und dass ein Staat, der sich über diese Grenzen hinweg gegen die Bürger richtet, damit die Grundlage des Staatswesens (nämlich den Vertrag seiner Bürger) verletzt, muss in einem solchen Papier stehen. Das Sozialstaatsgebot ist meiner Meinung nach unverzichtbar für eine humane Politik. »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« (Art. 14, Abs. 2 GG) ist ein wichtiger Grundsatz und muss auch in einem Antrag zu Grundlagen und Zielen piratiger Politik enthalten sein. Da gleiche gilt für die Verpflichtung des Staates, aus eigener Initiative Vorurteilen und Diskriminierung entgegenzutreten. Soweit vorgeschlagen wurde, einzelne Absätze zu kürzen, wäre es sicher einfacher gewesen, sich damit auseinanderzusetzen, wenn der Anreger für solche Kürzungen konkrete Vorschläge gemacht hätte. --etz 06:34, 5. Okt. 2011 (CEST)
  • zu Anregung 3400: Vielleicht wäre das eine denkbare Ergänzung. Ohne dass der Anreger dafür allerdings einen konkreten Vorschlag unterbreitet hat, kann man leider keinen solchen Passus einbauen. --etz 06:34, 5. Okt. 2011 (CEST)
  • zu Anregung 3376: Medienkompetenz gegen Brainwash in Unternehmen und beruflicher Bildung ist sicher eine notwendige Aufgabe gesellschaftlicher Bildungsanstrengungen. Mir scheint es aber eher in das Kapitel Bildung zu gehören als in ein Zusammenfassungskapitel zu »Grundlagen und Zielen piratiger Politik«. --etz 10:43, 15. Okt. 2011 (CEST)

Fragen

inwiefern unterscheidet sich diese sichtweise auf politik und mensch von der anderer parteien? --Korbinian 01:43, 5. Sep. 2011 (CEST)

1. Konservative Auffassungen postulieren ein eigenständiges Recht von Institutionen (Staat oder auch Familie). Dem widerspricht dieser Antrag entschieden. Institutionen sind immer nur Funktion des demokratischen Willens der Menschen und Bürger.
2. Linke und auch grüne Auffassungen postulieren einen Sinn- und Zielkatalog, der außerhalb demokratischer Willensbildung entsteht. Dafür ist im Rahmen dieses Antrags kein Platz.
3. Anhänger des wirtschaftlichen Rechts des Stärkeren stellen Marktmacht über Wettbewerb. Demgegenüber steht in diesem Antrag die Verpflichtung des Staates, Beteiligungsrechte der Bürger zu sichern und Marktmacht zu begrenzen. --etz 02:20, 5. Sep. 2011 (CEST)

zustimmung erstmal. aber: inwiefern entsteht der linke/grüne sinn- & zielkatalog ausserhalb von demokratischer willensbildung? --Korbinian 02:35, 5. Sep. 2011 (CEST)

Sinn- und Zielkataloge entstehen immer außerhalb demokratischer Willensbildung. Und letztlich verfügt jeder politische Akteur, jede politische Gruppierung in unterschiedlicher Intensität über einen solchen Katalog. Demokratische Willensbildung kanalisiert, wie stark solche Kataloge für die praktische politische Arbeit wirksam werden; dabei erweist sich demokratische Zivilisation an der Zurückhaltung gegenüber Minderheitenpositionen. Meine Kritik an linken und grünen Akteuren besteht darin, dass sie ihre Katalog-Inhalte häufig ohne Rücksicht auf den Schutz von Minderheiten durchsetzen wollen. --etz 16:26, 5. Sep. 2011 (CEST)