Bundesparteitag 2011.2/Antragsportal/PA310
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Dies ist ein Antrag für den Bundesparteitag 2011.2. Das Sammeln und Diskutieren von Argumenten für und gegen den Antrag ist auf der Diskussionsseite möglich
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Dieser Text ist (noch) keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland, sondern ein an den Bundesparteitag eingereichter Antrag. |
Antragsübersicht | |
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Antragsnummer | PA310 |
Einreichungsdatum | |
Antragsteller | |
Mitantragsteller |
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Antragstyp | Wahlprogramm |
Antragsgruppe | Datenschutz und Privatsphäre„Datenschutz und Privatsphäre“ befindet sich nicht in der Liste (Arbeit und Soziales, Außenpolitik, Bildung und Forschung, Demokratie, Europa, Familie und Gesellschaft, Freiheit und Grundrechte, Internet und Netzpolitik, Gesundheit, Innen- und Rechtspolitik, ...) zulässiger Werte für das Attribut „AntragsgruppePÄA“. |
Zusammenfassung des Antrags | |
Schlagworte | |
Datum der letzten Änderung | 12.11.2011 |
Status des Antrags | |
Abstimmungsergebnis |
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AntragstitelDatenschutz & Öffentlichkeit AntragstextDer Bundesparteitag möge folgendes Positionspapier beschließen:
Informationelle SelbstbestimmungDie Informationelle Selbstbestimmung als Grundlage des Datenschutzes begründet auch das Recht, seine Daten zu veröffentlichen. Dieses Grundrecht sagt aus, dass jeder grundsätzlich selbst bestimmen darf, was mit seinen Daten geschieht. Davon leitet sich folglich auch das Recht des Einzelnen ab, seine Daten zu veröffentlichen und die Möglichkeiten zur Veröffentlichung wahrzunehmen. Es handelt sich also um zwei Seiten der selben Medaille. Der Grund für die stärkere Wahrnehmung des Datenschutzes liegt im wesentlichen darin, dass es in der Vergangenheit gar nicht denkbar war, dass viele Menschen ihr Leben umfassend öffentlich machen. Das es auch ganz anders laufen kann zeigt sich in China, wo Privatpersonen im Allgemeinen seit einiger Zeit keine eigenen Domains mehr betreiben können. Ein großes Problem stellt jedoch die Betroffenheit unbeteiligter Dritter dar, wenn deren Daten ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen veröffentlicht werden. Wenn jemand etwa private Bilder oder Videos von sich ins Internet stellt, auf denen andere Personen und ihre Handlungen zu sehen sind, kann man in aller Regel nicht von einer Dokumentation des Zeitgeschehens ausgehen. Vielmehr hat der Einzelne, wenn er sein Recht auf Veröffentlichung wahrnimmt, auch die Selbstbestimmung seiner Mitmenschen zu achten. Folglich ist Datenschutz auch keinesfalls als Übergangslösung und als langfristig überflüssig zu betrachten. Wer argumentiert, dass der Abbau von Vorurteilen und Diskriminierung und die darauf folgende gesellschaftliche Toleranz Datenschutz obsolet machen, der übersieht, dass die Privatsphäre ein Freiheitsrecht des Einzelnen darstellt. Somit müssen Anonymität und Privatsphäre nicht erst durch sonst drohende öffentliche Diskriminierung gerechtfertigt werden. Eine repressions- und vorurteilsfreiere Gesellschaft ist an sich ein erstrebenswertes Ziel, aber im Bezug auf die Öffentlichkeit schwierig umzusetzen. Dort galten schon immer andere, härtere Regeln gegenüber einzelnen Beteiligten. Aber nur aufgrund dieser erfüllt die Öffentlichkeit wichtige Funktionen wie das Aufdecken von öffentlichen Missständen oder die offene Diskussion gesellschaftlicher Themen.
Die TransparenzfrageEntscheidendes Kriterium für die Transparenzfrage stellt die systematische Zugehörigkeit von Informationen dar. Auf der einen Seite steht die Öffentlichkeit, welche schon per Definition publik ist. Dazu kommt der Staat, dessen Wesen sich gerne der Transparenz entzieht und gerade deshalb daran gebunden gehört. Der Staat bezieht seine Substanz, seine Legitimation und seine Mittel vom Bürger, also hat er sich diesem gegenüber auch zu rechtfertigen und grundsätzlich transparent zu sein. Auf der anderen Seite steht das Individuum und sein Lebensumfeld. Dieses soll nicht gegen seinen Willen an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Und auch gegenüber dem meist übermächtigen Staat und Interessen von Organisationen muss es geschützt sein, da es sonst häufig seine Persönlichkeit und seine Freiheitsrechte nicht ausleben kann. Ebenso ist zu akzeptieren, dass Menschen in aller Regel mehrere "Gesichter" haben und in ihrem persönlichen Umfeld verschiedene Rollen annehmen müssen oder wollen, etwa zwischen Arbeits- und Privatleben. Ausgenommen natürlich, eine Person spielt eine Rolle im öffentlichen Leben, dann sind Widersprüche zum Privatleben öffentliche Angelegenheit. Ein Beispiel wäre ein Politiker, der in der Öffentlichkeit den braven Familienmenschen spielt, in Wirklichkeit aber bereits zum fünften Mal verheiratet ist. Bedingt oder teilweise zugängliche öffentliche Bereiche existieren zunehmend, z. B. geschlossene Kommunikationsplattformen im Internet. Dadurch erweist sich die Eingrenzung von Privatsphäre und Öffentlichkeit häufig als schwierig. Jedoch macht dies das Kriterium der Zugehörigkeit von Informationen nur noch wichtiger. Entscheidend ist auch, beim Angehen der Missstände bei den offensichtlichsten Fällen - wie der mangelnden staatlichen Informationsfreiheit in Deutschland - zu beginnen, anstatt sich schon zu Beginn in Kontroversen aufzureiben. Um dauerhaft und umfassend Transparenz und Privatsphäre für die Beteiligten zu gewährleisten, müssen staatliche Strukturen und Regelungen von Beginn an darauf ausgelegt bzw. in eine entsprechende Richtung entwickelt werden. Dies ist beispielsweise wichtig, wenn Entscheidungen über Privatisierungen vormals staatlicher oder öffentlicher Infrastruktur getroffen werden. Hier besteht die Gefahr, dass wichtige Informationen (z. B. Verträge oder wichtige persönliche Daten) nicht mehr demokratischer Kontrolle unterliegen.
Politischer DatenschutzDatenschutz wurde der Politik durch das Bundesverfassungsgericht auferlegt. Die Folge davon ist, dass lediglich ein bürokratischer Datenschutz existiert. Dieser hat für die heutige Politik die Rolle einer Hürde, die es zu überwinden gilt, um letztlich möglichst machen zu können, was man möchte. Er ist gekennzeichnet von einem Mangel an Rechtsintegrität und -sicherheit, von unklaren Verhältnissen. Er manifestiert sich in ellenlangen Datenschutzerklärungen auf Webseiten, schafft es aber nicht, den Menschen wirksam zu helfen oder ihnen Mittel in die Hand zu geben, wenn sie von ihrem Smartphone ausgespäht werden. Datenschutz wird nicht gelebt, sondern nur vorgeschrieben. Typisch dafür sind Konzepte, die aus sich selbst heraus datenschutzfeindlich sind und lediglich handwerklich so modifiziert werden, dass sie datenschutzkonform sind. Hier zu nennen wären etwa Hartz IV, der ePerso oder der Zensus11. Letzterer ist diesbezüglich sogar so gestaltet, dass die entsprechenden Regelungen den berechtigten Widerstand gegen das Projekt schwächen. Im Allgemeinen sind gute, datenschutzkonforme Ausgestaltungen sehr zu begrüßen, jedoch nicht als pflichtgemäße Notrettung. Diese Mentalität muss ersetzt werden durch politischen Datenschutz. Das bedeutet, politische Konzepte dürfen nicht bereits in ihrem Wesen datenschutzfeindlich sein. Sie müssen schon schon im Ansatz möglichst bürgerrechts- und grundrechtsfreundlich sein.
Staat und WirtschaftIn Deutschland ist das Vertrauen in den Staat in Sachen Datenschutz größer als dieser es verdient, er liefert am laufenden Band Beispiele für die Missachtung der Grundrechte und die Überwachung der Bürger. Ein ausgeglicheneres Misstrauen gegenüber Staat und Unternehmen ist daher notwendig. Einerseits sind staatliche Regelungen verpflichtend und können durch den Einzelnen nicht einfach so vermieden werden. Andererseits haben Unternehmen - insbesondere große, globale - ein kommerzielles Interesse an Daten und viele Ressourcen, um an private Daten zu gelangen. Natürlich muss sich gerade der Staat sich an seine eigenen Datenschutzgesetze halten. Jedoch dürfen auf gar keinen Fall Datenschutz-Mängel oder Skandale bei Staat oder Unternehmen gegeneinander ausgespielt oder argumentativ als Legitimation der Defizite auf der jeweils anderen Seite genutzt werden.
DatenschutzproblemeDes weiteren muss man feststellen, dass die rapide technische Entwicklung und Weiterentwicklung die Gesamtverhältnisse derartig schnell verändert, dass möglichst technikneutrale Gesetze und Anpassungen alleine nicht ausreichen, um gesetzgeberisch Schritt zu halten. Notwendig sind unter anderem kontinuierliche politische Anstrengungen, um international einheitlichere und durchsetzbarere Datenschutzstandards zu erreichen. Es muss jedoch klar sein, dass dieses Mittel wahrscheinlich nicht unbegrenzt Erfolge zeigen wird, unter anderem aufgrund des bedauernswerten Zustands des Datenschutzes in den USA. Außerdem sollen schneller und häufiger höchstrichterliche Urteile die Interpretierbarkeit der Gesetzgebung eindämmen. Dazu sind den Bürgern wirksamere Mittel zum direkten Handeln zu geben, insbesondere in Form von Sammelklagen, um diesbezüglich Rechtsunsicherheit früher und schneller aus der Welt zu schaffen. So sind heute wesentliche Fragen zur rechtlichen Beurteilung von IP-Adressen ungeklärt und verschiedene Amtsgerichte urteilen mitunter recht verschieden.
Kein Kampf gegen WindmühlenZu gerne kämpfen Politiker, Datenschützer und leider auch verängstigte Bürger bei der vermeintlichen Verteidigung der Privatsphäre gegen Windmühlen und verlieren dabei bisweilen die Bodenhaftung. Mögliche, negative Folge davon ist eine Tendenz zur Bevormundung und sogar zur Überwachung der Bevölkerung. Außerdem isolieren und radikalisieren sich manche Befürworter von Privatsphäre dadurch aus Sicht der Allgemeinheit. Ein Beispiel dafür ist die Nutzung von ausländischen Internetdiensten (z. B. Social Networks), wenn sie durch den Einzelnen bewusst erfolgt. Dieser verlässt dabei mit seinen Daten freiwillig den Einflussbereich der hiesigen Gesetzgebung. Bevormundung würde hier nur dazu führen, dass der Staat versucht, an den digitalen Landesgrenzen Hinweisschilder aufzustellen oder symbolisch Dinge zu verbieten, auf die er sowieso keinen Einfluss hat. Die Entscheidung des Einzelnen ist im gleichen Maße zu ermöglichen und zu respektieren wie sie zu schützen ist. Stattdessen muss die Rechtsintegrität und -durchsetzbarkeit stärker in den Vordergrund gestellt werden, indem Datenschutz-Regelungen entweder tatsächlich durchgesetzt, modifiziert oder abgeschafft werden. Nicht durchsetzbare oder realitätsfremde Vorschriften machen an der Stelle nur auf dem Papier Sinn, in der Realität trifft die mangelnde Rechtssicherheit gerade die Kleinen. Das zeigt sich beispielsweise dann, wenn Webseiten wegen angeblich mangelnder Konformität zu den Gesetzen abgemahnt werden und unklar ist, wie die Gesetze zu interpretieren sind. Hier haben kleine Betreiber aus wirtschaftlichen Gründen weniger Möglichkeiten, sich juristisch zu wehren.
Missbrauch von DatenschutzAuch wird der Datenschutz gerne missbraucht als angebliches Argument für ganz andere Interessen. Dies trifft dann oft die Meinungsfreiheit oder das Anrecht der Gesellschaft auf Transparenz. Der Datenschutz muss seine Aufgabe bezüglich privater und sensibler Daten erfüllen, gleichzeitig soll aber auch darauf geachtet werden, die Interessen der Öffentlichkeit vor dem Versuch des Missbrauchs zu schützen. Ebenso missbraucht wird der Datenschutz von Politikern, die bewusst versuchen sich als Beschützer der Bevölkerung zu profilieren und dafür die Ängste der Menschen nutzen und schüren. Insbesondere wenn dies im vollkommenen Gegensatz zu ihrer sonstigen Politik und der Linie ihrer Partei steht. Ein Beispiel dafür ist zum Teil die Debatte über Google Street View, bei der ebenso plötzlich wie vorübergehend viele Politiker den Datenschützer in sich entdeckten, als das Thema populär wurde. AntragsbegründungDieser Antrag soll die Konfliktlinie zwischen Privatsphäre und Transparenz entschärfen sowie die Position der Piratenpartei zu diesen oft widersprüchlichen Zielen festlegen. Beide Themen sind offensichtlich sehr wichtig für und präsent bei den Piraten und deshalb sollten wir zu ihren Gegensätzen Position beziehen. Nur so lassen sich nach innen und in der Sache Ergebnisse erzielen, die wir dann nach außen vertreten können. Der Antrag konzentriert sich auf das Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Öffentlichkeit. Die beiden Themen werden soweit im Kontext dieser Zielsetzung nötig behandelt. Hinweis: Dieser Antrag wurde als Positionspapier und als Wahlprogrammantrag eingereicht. Grund: Wenn der Antrag X024 "Erstellung des Bundeswahlprogramms" angenommen wird, empfiehlt sich die Variante Wahlprogrammantrag. Wenn nicht, ist der Antrag zu ausführlich für das Wahlprogramm und sollte als Positionspapier behandelt werden. Diskussion
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