Benutzer:LynX/Demokratie 2.0
Dieser Artikel ist keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland. Hier wurde ein Essay von —lynX verfasst. |
Dieses Dokument beschäftigt sich mit sinnvollen weiteren Schritten beyond Liquid Democracy. Kann totale Transparenz zu Missbrauch und neuen Varianten von Lobbyismus führen? Sind Server sicher? Will man Entscheidungen feiner aufdröseln als nur Zustimmung vs. Ablehnung?
Inhaltsverzeichnis
Sicherheit bei server-basierter Liquid Democracy
Alle Vorschläge, die ich bisher gesehen habe, wollen eine web-basierte Implementation sehen. Nur, wie sorgt man für Transparenz? Grundsätzlich sollten kritische informatische Systeme nicht von einzelnen Serverbetreibern abhängig sein. Demokratie ist solch eine kritische Applikation.
Es werden schon jetzt so hohe Erwartungen an LD gestellt, dass es keinesfalls als Spielzeug designt werden darf. Hiermit sollen wichtige Entscheidungen getroffen werden. Fälschungssicherheit muss ein Kriterium sein, sonst hält jeder Serveradmin jetzt schon halb seinen Hals in der Schlinge, dass man ihn beschuldigen wird, sobald irgendwas nicht so ist wie es sein sollte (etwa, weil er problemlos die Historie einer Wikiseite modifizieren kann).
Okay, ein billiger Ansatz wäre, man möge zu jedem Poll eine oocalc/csv/xls-Tabelle extrahieren können, stichprobenweise überprüfen, dass die richtigen Wahlentscheidungen drinnen stehen, und die Aufsummierung auf dem eigenen Rechner nachvollziehen.
- Das mag zwar billig klingen, ist aber sehr effektiv. LiquidFeedback ermöglicht den Download der gesamten Datenbank (ohne personenbezogene Daten wie Profilinhalte, Kontakte, Loginname, Kennwort u.ä). Überprüfbarkeit durch Transparenz. --Dark
- Schon klar, aber wieviele von uns pflücken mal schnell einen postgres Dump auseinander und überprüfen ob alles soweit richtig ist. Hier wäre ein Client sinnvoll, der unsere Entscheidungen gespeichert hat, und diese periodisch abgleichen kann. Eine bessere API als ein Datenbank-Dump ist ja in der Mache, die müsste dann nur noch glaubwürdig unabhängig sein vom LF-Server. Überhaupt, eine Monitoring-Package welche regelmäßig unabhängige Kopien der Datenbank zieht, Änderungen protokolliert und Konsistenzchecks durchführt (keine plötzlichen Änderungen in der tiefen Vergangenheit z.B.) Naja, wird schon werden. :) —lynX 21:56, 4. Mai 2010 (CEST)
- Noch ein paar Ideen (--Pudo 20:32, 7. Okt. 2009 (CEST)):
- E-mail double opt-in fürs Voting,
- Unabhängige Watchdogs die einen über eigene Votes benachrichtigen
- Client-basierte System Tests, die die Responsivität des Systems prüfen (kommt meine Stimme in der Abrechnung an?)
Wenn man es aber richtiger machen will, solte man Parallelinstallationen der gesamten Softwareplattform auf eigenem Server oder Rechner clonen können - dann ist es egal, auf welchem der Demokratieserver man seine Entscheidungen einklickt - alle vernetzten Server werden updated und errechnen die identischen Resultate. Wenn nicht, dann ist was an der Demokratie buggy. Vergleichbar ist es, wenn mehrere Benutzer ihre Clients non-stop laufen lassen, letzte Updates regelmäßig abschöpfen und dezentral sichern.
Liquid Democracy + Geheimhaltung = besser?
Ich denke Liquid Democracy wird einen Geheimaspekt benötigen, um (langfristig) resistent gegen Missbrauch zu sein. Konkret meine ich folgendes: Wenn die Delegation einer oder mehrerer Entscheidungen an einen vertrauensvollen Experten öffentlich ist, kann ein Lobbyist sich die stärksten Meinungsträger herauspicken, und diese bearbeiten. Sollte er diese Leute 'rumkriegen, hat er geradezu eine mathematische Sicherheit, dass seine Wunschpolitik durchkommt. Somit würde LD optimiertes Handeln der Lobbies ermöglichen. Stimmt nicht ganz, denn besser als korrumpierbare Parlamentarier ist LD jederzeit.
- Was Du hier als einen zentralen Kritikpunkt nennst sehe ich weniger dramatisch. Zunächst wiederum, weil ich LD nicht als Staatsform verstehe. Zudem: Wer Delegationshub wird hat das irgendwie erreicht: er hat gut argumentiert (Populismusdebatte, falls gewünscht, bitte auslagern!) und in vielen Debatten beigetragen. Er hat sich Vertrauen erwirtschaftet und Vertrauen ist sein einziges Kapital. Das Vertrauen kann er zwar zu Geld machen, aber da ein zentraler Teil der LD-Idee gute Mechanismen zum peer review sind wäre das politischer Selbstmord. Und Selbstmord geht in LD schnell, am gleichen Abend kann man vermutlich einen Großteil der eigenen "Follower" verlieren. Lobbyismus geschieht immer im Schatten, und Delegationshubs werden das genaue Gegenteil sein! --Pudo 20:32, 7. Okt. 2009 (CEST)
- Es ist das Wesen eines guten Lobbyisten oder Politikers mit hidden agenda, dass er überzeugende Argumente pro oder contra einer Gesetzesinitiative finden kann, je nach dem wie es ihm gerade in den Kram passt. Ich denke Du siehst es zu optimistisch, zu erwarten, dass seine Folger das sofort erkennen und sich sofort von ihm abwenden werden. Meine Erfahrung im IETF hat mir das krasse Gegenteil gezeigt: Leute werden immerwieder in den IESG gewählt, egal wie oft sie schon Entscheidungen mit Industrieverfärbung getroffen haben. Letztlich zählt Sympathie und das gemeinsame Bier mehr, als der Verdacht, ein Politpromi könnte nicht seine tatsächliche wissenschaftlich fundierte Meinung vertreten. Und das IETF ist ausgerechnet ein politisches Gremium, welches von sich aus so etwas wie LD schon entwickelt hätte haben können.
- Sicher ist Lobbyismus ein potentizielles Problem bei Liquid Democracy. Aber erstens glaube ich nicht, dass sich das Problem durch Geheimhaltung aus der Welt schaffen laesst. Da muss der Lobbyist, nur ein paar representative Umfragen starten, und schon hat er eine gewisse Ahnung, welcher Experte beliebt ist. Auch Medienpräsenz/Google-Statistiken etc. von Experten geben Aufschluss auf ihre Beliebtheit. Desweiteren erhöht eine Geheimhaltung extrem die Wahrscheinlichkeit von Wahlbetrug. Zweitens bin ich gar nicht davon ueberzeugt, dass LD anfaelliger fuer Lobbyisten ist, als das jetzige System. Ein einzelner Abgeordneter hat gerade bei knappen Mehrheitsverhältnissen ein ungeheures Gewicht im Bundestag. Ich glaube nicht, dass Experten mit den meisten Entscheidungskompetenzen mächtiger werden als ein Abgeordneter (der immerhin ca. 1/600 an Entscheidungsmacht hat). Und sollte ein mächtiger Experte entgegen seiner Position abstimmen, dann verliert er wahrscheinlich sehr schnell an Stimmgewicht. Torben 00:15, 20. Nov. 2009 (CET)
- Nur ein paar representative Umfragen starten ist ein Widerspruch in sich - im Vergleich zur einfachen mathematischen Sicherheit ist das ein großer Aufwand, und es besteht immernoch keine Garantie auf Erfolg. Wenn der Lobbyist um jeden Preis eine Politik durchbringen muss, reicht es nicht eine gewisse Ahnung zu haben - Er muss dann so massiv für sein Anliegen werben, dass es schon auffällt. Und so sollte es sein: Lobbyismus hat ein öffentlicher Diskurs zu sein. Korruption soll weder beim Piratenabgeordneten noch bei der Piratenfraktion als Ganzes eine Chance haben. Im Falle von LD ist das nicht so - da kann der Lobbyist sich genau errechnen, wieviele Leute er rumkriegen muss, um eine Entscheidung kippen zu lassen, und kann unheimlich diskret und langfristig vorgehen. Ich verstehe diese Naivität einer Mehrheit der Piraten in Sachen Lobbyismus und LD nicht. 1/600 käuflich ist in der Tat schlimm, aber wir machen es nicht besser, wenn ganze Fraktionen von LD-Entscheidungen abhängen und man sich dort mit mathematischer Gewissheit sagen wir 3 Leute herauspicken kann, die schon immer einen Sommerurlaub mit Yacht machen wollten. Solche 3 Leute werden genau wissen, wie sie ihren Meinungswechsel begründen - sie können ja beispielsweise sich für dumm ausgeben, und glauben Netzsperren seine tatsächlich gut gegen KiPo. Das ist jetzt ein schlechtes Beispiel, weil alle Piraten hierzu bereits eine eigene Meinung haben, sie also niemandem ihre Stimme delegieren brauchen. Was aber, wenn es um etwas geht, von dem der gemeine Pirat nichts versteht? Unsere Piratenexperten haben Follower genau weil ihnen die Kompetenz einer Entscheidung zugetraut wird, oder weil sie sympathisch sind. Aus diesem Grund ist das eine Mähre, dass ein Experte sofort abgestraft wird, wenn er seine Position im Laufe von Monaten oder Jahren ändert. Wer sagt, dass Korruption sich Zeit lassen muss bis kurz vor der Abstimmung? Und natürlich würde er niemals entgegen seiner Position abstimmen, denn seine Position ist ja jetzt eine andere. Die Sache mit dem Schwund an Stimmgewicht ist Wunschdenken. Also kann es nicht angehen, dass wir der Korruption eine neue Plattform geben, die, falls überhaupt, nur wenig besser ist, als Korruption bisher, wenn wir die Möglichkeit hätten es den Lobbyisten wirklich wirklich schwer zu machen, inkorrekt vorzugehen. Nur weil mangelnde Geheimhaltung weniger Sicherheitsanforderungen hat, kann das nicht das Entscheidungskriterium sein: Nach dem Prinzip könnten wir das Wahlgeheimnis auch bei der Bundestagswahl abschaffen, da es Wahlen schwer fälschbar macht, wenn jeder Wähler auf einer Website nachschlagen kann, was er gewählt hat. Wahlbetrug bei Geheimhaltung ist nur dann wahrscheinlich, wenn man nicht nachvollziehbare server-basierte Lösungen sucht - dabei kann man das Problem cryptographisch lösen, weswegen jeder Wähler nur auf seinen Geheimschlüssel aufpassen muss (als Pirat wird das doch zu schaffen sein), um weitgehend sicher gehen zu können, dass seine Stimme unverfälscht geblieben ist. Sicherlich, in dieser Hinsicht müsste man sich noch etwas auf den Hosenboden setzen, um das Ding festzuzurren. LD ist ohne Geheimhaltung jedoch unzureichend, und es wäre schmerzhaft, wenn sich das erst im Bundestagsbetrieb herausstellt - oder noch schlimmer - wenn es gar nicht mehr auffällt, dass LD-Entscheidungen bei Bedarf ferngesteuert/gekauft werden können. Es besteht kein Anlass, sich in leichtfertigem Transparenz-Enthusiasmus auf diese Idee zu werfen, aber genau das ist derzeit der Tenor. Das beste, was uns in der Etablierung vom derzeitigen LD-Theorem passieren kann, ist, dass keine Sau den Delegationsmechanismus tatsächlich verwendet. Dann sind alle beteiligten gezwungen, alle Piraten über jede Detailfrage überzeugend aufzuklären. Das ist zwar überhaupt nicht zu schaffen, und wird zu Fehlentscheidungen führen, aber wenigstens waren sie nicht im Voraus berechenbar und/oder korrupt. Und lieber auch mal sich enthalten, als drauflos zu delegieren oder zu stimmen. Somit: keine Stimmendelegation ohne Geheimhaltung. —lynX
Würde man stattdessen diese Information geheim halten, sieht es nach aussen aus, als hätte jeder Wahlberechtigte für sich alleine gestimmt. Wenn man in diesem Fall nach wie vor einen zentralen Server einsetzt, kann der Betreiber dieses Servers eine Menge Geld dazuverdienen, in dem er starke Meinungsträger an die Lobbies verpetzt.
Wenn man also wirkliche Sicherheit in dieser Hinsicht will, müssten Delegationen auf dem eigenen Rechner des Wählers implementiert sein. Entweder als dezentrale Demokratiesoftware, oder als Client/Server System, aber nach wie vor mit dezentralen Servern. Was nebenbei mit abspringt, wäre eine Plattform, mit der die Teilnehmer auch wirklich private Nachrichten untereinander senden und empfangen können, mittels OTR.
Ebenfalls problematisch finde ich den Ansatz, Gesetzesvorhaben in einem herkömmlichen Wiki zu entwickeln. Damit Textänderungen wirklich abgesichert sind, müssten sie digital signiert sein. Auch hier bräuchte man eine Integration mit PGP auf dem ureigenen Rechner des Mitwirkenden.
Um möglichst hohe Sicherheit zu erreichen, müsste das System in open source vorliegen, von möglichst vielen Teilnehmern unabhängig zum eigentlichen Programm übersetzt werden, und dezentral sowohl die erwünschten Gesetzestexte als auch deren Beurteilung erarbeiten.
Aus diesen Gründen halte ich eine reine und zentralistisch web-basierte Implementation von Liquid Democracy für einen unzureichenden Weg. Das kann für prototypische Zeiten in einer vertrauensvollen Umgebung reichen, genügt aber nicht wirklich den Anforderungen an Unkorrumpierbarkeit. Durch Dezentralität sowie unabhängige Applikationen, welche Geheimhaltung und Überprüfung realisieren, kann dies angegangen werden.
- m.E. sind es dann die Erwartungen, die man mal genauer angucken muss. Meine Replik zu Deinen Anforderungen auf dieser Seite ist etwas länger ausgefallen - ich habe sie daher unter Benutzer:Pudo/Liquid Democracy und Sicherheit abgelegt. LG, --Pudo 20:22, 8. Okt. 2009 (CEST)
Interessant sind die Entwicklungen dezentrale Wikis mittels GIT zu realisieren. Das könnte man auch in eine GUI-Applikation integrieren. Es kann dann zwar nach wie vor einen öffentlichen GIT-Server geben, aber jeder Teilnehmer hat eine lokale Kopie der gesamten Entstehungsgeschichte der betroffenen Dokumente, weswegen man die Änderungshistorie nicht nachträglich manipulieren kann.
Umsetzung von Geheimhaltung bei Proxy Voting
James Green-Armytage hat sich mit Geheimhaltung bei Proxy Voting beschäftigt und kam auf das Problem der Loops. Was ist, wenn zwei sich gegenseitig die richtige Entscheidungen zutrauen?
Variante A: Geheimhaltung nur für Endwähler
Lösung eins wäre, dass nur Endwähler geheim wählen, während Proxies transparent wählen. D.h. man muss eine bewusste Entscheidung treffen, ob man alleine geheim wählen will, oder ob man öffentlich wählt, dafür aber eine nicht nachvollziehbare Anzahl von Personen mit seiner Wahl beeinflusst. Je nach dem ist man also Endwähler oder Proxy. Schleifen können demnach bei der Entstehung erkannt und unterbunden werden ("Du kannst Deine Stimmen nicht diesem Proxy delegieren, weil dieser seine bereits an Dich delegiert hat.") Wie die Proxies untereinander delegieren ist dann offen einsehbar, nicht aber woher die Endwähler ihre Entscheidung herhaben: Im Moment der Wahl werden die Entscheidungen aller Proxies öffentlich gemacht, daraufhin pickt sich die Client-Software des Endwählers die Meinung seines Proxy heraus, und veröffentlicht diese als die eigene Entscheidung. Woher diese kommt, also wem das Vertrauen ausgesprochen wurde, ist nicht mehr nachvollziehbar. Das kann man auch in real-time realisieren, wenn man zwischen einem Meinungswechsel des Proxies und der eigenen Meinungsänderung eine nicht nachvollziehbare Verzögerung oder interaktive Rückfrage einführt. Dies würde Proxies auch die Möglichkeit wegnehmen, in letzter Sekunde mit Tausenden von Stimmen mal schnell zur Gegenseite überzulaufen. Die Entscheidung des Endwählers selbst kann nun öffentlich sein, oder mittels einem geeigneten cryptographischen Zählsystem ebenfalls geheim bleiben (Thema für sich). Alles in allem sieht Variante A nach einem pragmatischen Kompromiss zwischen Transparenz und Geheimhaltung aus.
Wenn ich das richtig sehe ist diese Variante mit derzeitigem LF nicht ganz machbar: Der Client könnte zwar einige Entscheidungen dem Server vorenthalten, allerdings gibt der Server derzeit die bereits getätigten Entscheidungen in einer Abstimmung erst frei, wenn die Abstimmung vorbei ist. Der Client könnte also nicht mehr seinen Delegaten rauspicken um sich insgeheim seiner Meinung anzuschließen. Dieser Zustand, dass der LF-Server während der Abstimmung irgendwas für sich behält widerspricht der Behauptung, LF sei vollständig transparent und gibt dem Verwalter des Servers und der Software einen Wissensvorsprung gegenüber den anderen. Er kann sich ein real-time Bild davon machen, wie die Abstimmung gerade verläuft, und irgendwelche last-minute Maßnahmen ergreifen, das zu beeinflussen (z.B. den richtigen Leuten mehr Geld anbieten, damit sie ihre Entscheidung im System anders einchecken). Der moderne Lobbyist in der LF-Ära müsste sich also mit dem LF-Admin gutstellen. Liege ich richtig oder irre ich hier? Ich glaub ich stelle diese Frage mal nebenan auf Diskussion:LiquidFeedback. Wenn diese Geheimhaltung stattdessen nicht stattfände, wär das auch kein Vorteil, denn dann braucht ein Korrupteur nicht einmal den LF-Admin zu bestechen, um seine Infos aus dem System zu holen. Die einzige logische Konsequenz daraus ist, dass eine Client/API-basierte Lösung her muss und alle Delegationen auf Benutzerseite gespeichert werden, nicht im Server. Nur so würde ein real-time Update der Abstimmung nicht zur Folge haben, dass ein Lobbyist weiss, wen er besser überzeugen muss.
Variante B: Geheimhaltung für alle
Lösungsszenario zwei macht keine Unterscheidung zwischen Wählern und Proxies: Jeder kann jedem seine Stimme delegieren. Um hier Geheimhaltung zu realisieren erfordert es eines hohen cryptographischen Aufwandes, weil man die Meinung eines anderen nicht einfach abstauben kann, sondern ihm ähnlich wie bei einer Bank-TAN einfach nur einen Blankowahlschein zuschiebt. Somit würden Proxies erkennen können, wieviele Stimmen ihnen zum Ausfüllen zugestellt wurden. Im Falle einer Schleife würde einer der Betroffenen mehr oder weniger per Zufall den Blankowahlschein weitergeleitet bekommen desjenigen, an den er gerade vor hat zu delegieren (oder es bereits tat). Die Schleife wird also durch Kreislauf der verschlüsselten Blankowahlscheinnachrichten erkannt. In diesem Fall muss dann interaktiv der User informiert werden, dass eine andere Delegation oder Direktentscheidung notwendig ist — oder es liegt bereits eine zweite Wahl vor. Je nach dem ob man beim endgültigen Ausfüllen der Blankowahlscheine dessen Ursprung löscht, oder nicht (cryptographisch vermutlich nicht einfach, aber ich gehe mal davon aus, dass es machbar ist), ist das Endresultat dann ebenfalls geheim (man kann nur noch cryptographisch abgesicherte Stimmen zählen) oder öffentlich (man sieht am Schluss wer wem seine Stimme geschenkt hat, und was dieser in seinem Namen entschieden hat). Letzteres wäre schon wieder zu transparent und würde das Lobbyismusproblem wieder ins Spiel bringen. So wie es aussieht wäre Variante B also enorm komplex und bedarf kluger Mathematiker allein zur cryptomathematischen Ausformulierung.
Geheimhaltung considered harmful?
Die Geheimhaltung der Wahl selbst, also wofür man sich entschieden hat, ist ein zweischneidiges Messer. Einerseits kann ein Wähler erpressbar werden, banalerweise zum Beispiel innerhalb der eigenen Familie, und dafür bestraft werden, wenn er nicht wählt wie sie soll – andererseits denkt Lobbyismus längst eine Stufe weiter: Solange die Wahl offen ist wählt die Parlamentarierin das, was der öffentliche Konsens von ihr erwartet. Kaum wurde geheime Wahl beantragt, kann sie ungeniert und ungestraft ihren Verpflichtungen gegenüber einer Lobby nachgehen.
Aus diesem Grund müsste man wohl die Demokratie dahingehend optimieren, dass nur einzelne Endwähler geheim wählen dürfen und auch sollten, während auf allen Ebenen wo Delegierte im Namen hunderter oder mehr einzelner Personen abstimmen, Transparenz an den Tag zu legen ist.
Mit unserer jetzigen Liquid Feedback Lösung ist letzteres sowieso der Fall. Ersteres ist erst realisiert, wenn wir per Pseudonym wählen und es tatsächlich nicht nachvollziehbar ist, wer wir sind. Dazu müssten die Datenbanken, die einen Rückschluss ermöglichen von Pseudonym zu Identifikationsdaten, nicht nur nahezu niemandem zugänglich sein – der Zugriff müsste zudem automatisch der betroffenen Person mitgeteilt werden (siehe auch meinen Vorschlag zu Informative Gewalt, wobei das eher ein Zukunftsding ist). Und überhaupt müssten Pseudonyme beliebter sein. In der Tat fühlt sich eine Mehrheit von uns sicher genug vor Erpressung einfach mit echten Namen in LF aktiv zu werden. Möge dieses Selbstsicherheit nie erschüttert werden.
Floating Democracy: Urteil und Gewichtung trennen
Man braucht nicht nur eine fließende Form der Zustimmungsbewertung, es wäre cool wenn auch die Gewichtung einzelner Punkte für die Gesamtentscheidung liquide gestaltet werden könnte. Somit hilft das LD System auch einer einzelnen Person, ihre Position zu finden, statt sich zwischen 1-n alternativen Gesamtpaketen entscheiden zu müssen. Schließlich stehen eventuell so viele kleine Einzelentscheidungen an, dass man den Überblick verliert. Es wäre cool wenn man auf die Urteile vertrauter Mitpolitiker zurückgreifen kann, dabei allerdings deren Gewichtungen anders beurteilt. Informatisch nachmodelliert, schwupp, kommt man zu einem anderen Resultat.
Konkretes Beispiel: Zivile Nutzung der Nuklearenergie. Wir können jemand anderem vertrauen, ob Atomreaktoren sicher seien, aber selbst einstufen wie wichtig uns das ist. Vielleicht ist uns die Wirtschaftlichkeit wichtiger, oder wie gut sich die Gebäude in die Landschaft integrieren, oder dass sie rosa gestrichen werden sollen. Floating Democracy würde mir erlauben einem Experten in Sachen Sicherheit heranzuziehen, und trotzdem ein ganz anderes Resultat errechnen als jemand anders, denn nur mir ist rosa so fundamental wichtig.
Ein noch konkreteres und piratiges Beispiel: Argumente pro und contra Bedingungsloses Grundeinkommen. Das Thema ist irrsinnig vielschichtig weswegen es sinnvoll ist zu vielen Aspekten wie Umsatzsteuer, Bürokratieabbau, demographische Entwicklung und sogenanntes Wachstum sich getrennte Meinungsbilder zu schaffen, und diese personalisiert bewerten.
<nekrad> Ja, schon allein deshalb, weil nicht immer eine klare Kontra-Position einzelner Standpunkte gibt, sondern meist viele miteinander vernetzt sind. Jede hinreichend große Entscheidung beeinflußt andere Entscheidungsmöglichkeiten, sodaß man also verschiedene Entscheindungsbäume/-Pfade durchspielen und bewerten muß.
<lynX> Vielleicht ist es auch Floating Democracy, weil man Urteile als floating point Zahlen speichert, nicht boolean. ;)
<nekrad> Das sowiso. Je größer die Konsequenzen einer bestimmten Entscheidung sind, um so schwieriger wird es, eine klare Position zu finden. Man müßte also Bewertungsfunktionen aufstellen können, in die andere Entscheidungen einfließen. Beispiel: die Maßnahmen X und Y sind allein genommen wenig sinnvoll als Alternativen, gemeinsam schaffen sie jedoch einen Mehrwert, der die anderen Alternativen überwiegt.
<nekrad> Verdeutlichen kann man sich das vielleicht am Spamfilter-Assasinen: Es gibt Muster die mehr oder weniger stark auf Spam hinweisen, aber auch solche für Ham. Ein Test allein für sich genommen liefert noch keine gute Entscheidung, mehrere in Kombination (mit entsprechenden Wichtungen) jedoch verbessern das Ergebnis.
Diese Idee ist scheinbar bisher durch keine Software realisierbar. In der Praxis müsste so ein Meinungsbildungstool auch externer Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, damit sich beispielsweise Parlamentarier anderer Parteien ebenfalls auf diesem Wege eine eigene Meinung und Überzeugung bilden können, was letztlich im Falle einer Regierungskoalition zur tatsächlichen Umsetzung gewaltiger Veränderungen führen kann, statt der üblichen Politik des kleinen Kleckerns, um bloß niemanden zu überfordern. Die Erweiterung von Liquid Democracy um eine Mathematik der Feingliederung könnte also große politische Veränderungen ermöglichen ohne unsere geliebte Staatsform in Frage zu stellen.
- Ich habe mir vor einiger Zeit mal ein paar Gedanken zur mathematischen Modellierung eines ebensolchen Systems gemacht. Ich denke zwar nicht, dass man das in Form von einem System machen kann, wo am Ende konkrete Entscheidungen stehen, sondern eher als Hilfsmittel für Diskussions- und Debattierplattformen. Ich habe ein paar der Ideen auch schon weiter ausgearbeitet, als sie auf der Wiki Seite stehen und habe auch vor innerhalb der Sommersemesterferien das in Software zu gießen. Teile davon existieren bereits. --Wobble 02:24, 13. Jun. 2010 (CEST)
- Ah, tolle Sache. Ich sehe jetzt darin zwar nicht direkt die Trennung von Urteil und Gewichtung modelliert, aber mit dem automatischen Aufsummieren meinst Du vermutlich das was ich mit Aufsummieren der Gewichtungen meine und irgendwo ist da eine Äquivalenz die ich jetzt noch nicht sehe. Vertraue einfach mal dass Du weisst was du tust auch wenn ich noch nicht durchsteige und bin gespannt jdebate im Einsatz zu sehen! :) —lynX
- Zum einen bildet es ein paar Grundlagen um überhaupt mit Meinungen rechnen zu können. Also die Ähnlichkeit, die ich sehe liegt darin, dass in beiden Fällen bestehende Meinungen genommen werden und daraus weitere (zusammengesetze) Positionen abgeleitet werden. Auch Gewichtungen gibt es indirekt nämlich in Form von "Unsicherheiten", also wie sicher man Aussagen zustimmt. Es sollte sogar möglich sein vom System her, Nutzer auf Aussagen hinzuweisen, wo keine sichere Meinung abgeleitet werden konnte, bzw. wo sich die Meinungen einer Person in sich widersprechen. Der Ansatz ist vlt. ein ganz unterschiedlicher, aber ich denke die Grundidee ist ähnlich ;) Btw. jdebate ist mMn ein total bescheuerter Name, mir ist nur damals als ich das sourceforge-projekt angelegt habe nichts besseres eingefallen. --Wobble 19:36, 13. Jun. 2010 (CEST)
- Ja super.. Namensgebungen brainstormen liebe ich.. dass mein Videochat Billy Idle heisst und zugleich auch ein DJ ist, auf so einen Quatsch muss man ja auch erstmal kommen. Also in Deinem Fall fällt mir ganz spontan decisionator ein. Ach Mist, das ist bereits ein iPhone App, aber dann macht man halt decisionatorr draus und schon gibt es das Wort kein einziges Mal im bisher erforschten Internet. Hoho. Ok, ein echter Brainstorm würde jetzt bedeuten, dass ich noch 12 weitere Vorschläge bringe. Später... ;) —lynX
- Zum einen bildet es ein paar Grundlagen um überhaupt mit Meinungen rechnen zu können. Also die Ähnlichkeit, die ich sehe liegt darin, dass in beiden Fällen bestehende Meinungen genommen werden und daraus weitere (zusammengesetze) Positionen abgeleitet werden. Auch Gewichtungen gibt es indirekt nämlich in Form von "Unsicherheiten", also wie sicher man Aussagen zustimmt. Es sollte sogar möglich sein vom System her, Nutzer auf Aussagen hinzuweisen, wo keine sichere Meinung abgeleitet werden konnte, bzw. wo sich die Meinungen einer Person in sich widersprechen. Der Ansatz ist vlt. ein ganz unterschiedlicher, aber ich denke die Grundidee ist ähnlich ;) Btw. jdebate ist mMn ein total bescheuerter Name, mir ist nur damals als ich das sourceforge-projekt angelegt habe nichts besseres eingefallen. --Wobble 19:36, 13. Jun. 2010 (CEST)
- Ah, tolle Sache. Ich sehe jetzt darin zwar nicht direkt die Trennung von Urteil und Gewichtung modelliert, aber mit dem automatischen Aufsummieren meinst Du vermutlich das was ich mit Aufsummieren der Gewichtungen meine und irgendwo ist da eine Äquivalenz die ich jetzt noch nicht sehe. Vertraue einfach mal dass Du weisst was du tust auch wenn ich noch nicht durchsteige und bin gespannt jdebate im Einsatz zu sehen! :) —lynX