BY:Positionspapiere/POS-023
Inhaltsverzeichnis
Direkte Demokratie in Bayern - Volksentscheide
Grundsätzliches
Die Bayerische Verfassung sieht die politische Beteiligung der Bürger durch demokratische Abstimmungen vor. Umgesetzt ist dies unter anderem in Form von Volksbegehren und Volksentscheiden. Die Piraten in Bayern sehen diese Möglichkeit sehr positiv und unterstützen sie.
Direktdemokratische Volksentscheide stellen eine vollwertige Möglichkeit zur Gesetzgebung bereit. Diese findet durch die Bürger selbst in einer Sachfrage statt. Bürger und Parlament sind hierbei gleichberechtigt, wie von der Verfassung vorgesehen. Genau so wie das Parlament sollen auch die Bürger nach bestimmten Regeln Gesetze erlassen können, schließlich geben sie als Souverän dem Parlament erst durch Wahl die Berechtigung dazu, dies zu tun. Die beiden Gesetzgebungswege konkurrieren jedoch nicht, vielmehr sollen sie zusammenspielen, auch indem das Parlament in den Prozess eingebunden wird. Davon profitieren beide Seiten in Form eines besseren Ablaufs und einer sachlichen, öffentlichen Debatte.
Bei Volksentscheiden steht eine Sachfrage im Fokus. Im Gegensatz dazu wird Politik häufig genug - etwa bei Wahlen - durch Personen und Parteiinteressen dominiert, die Inhalte bleiben auf der Strecke. Hier existiert eine Chance zur Versachlichung der Politik und der öffentlichen Diskussion, wenn bei letzterer die herkömmliche Politik und ihre Gesichter mal in den Hintergrund treten.
Ein großes Problem entsteht in der Demokratie dadurch, dass Parteien nur große, komplexe Wahlprogramme anbieten, sodass der Bürger oft genug nur das geringste Übel wählen kann. Als Meinungsanbieter können die Parteien den politischen Willen des Volkes deshalb nur zu einem gewissen Grad abbilden, selbst wenn die versprochenen Inhalte tatsächlich umgesetzt werden und nicht Koalitionsverhandlungen zum Opfer fallen. Direktdemokratische Elemente können hier präziser wirken, sowohl über angemessene Einstiegshürden für eine Volksabstimmung als auch durch die Abstimmung selbst und ihr Ergebnis.
Gleichmaßen ermöglichen es Volksbegehren, unpopuläre oder missliebige Themen auf die Tagesordnung zu setzen, wenn sie der Bevölkerung wichtig sind. Regierung und Parteien können solche Themen dann nicht einfach ignorieren oder totschweigen, sondern müssen agieren und sich selbst in der Debatte positionieren. Dies verhindert, dass es in der Bevölkerung "brodelt" und unterdrückte Stimmungen sich mit der Zeit radikalisieren. Volksabstimmungen als fester Teil einer Demokratie sind also ein Angriff auf den Parteienstaat.
Eine erhebliche Verbesserung bedeuten direktdemokratische Elemente für die Möglichkeit der Bürger, die Demokratie im Land tatsächlich zu gestalten. Insbesondere ermöglichen andere Wege wie Demonstrationen oder Petitionen lediglich Einfluss auf und Aufmerksamkeit durch die Herrschenden und keine eigene direkte politische Macht für die Bürger. Diese Möglichkeiten gehen das Problem der kontinuierlich steigenden Politik- und Parteienverdrossenheit an und entziehen dieser auch ihre Legitimation. Denn wer der Meinung ist, dass irgendwo ein bedeutendes Problem oder Missstand existiert, kann aktiv werden und dazu beitragen, dieses Problem zu lösen. Hat er keinen Erfolg, kann der Bürger auch nicht mehr über "die da oben" schimpfen, sondern höchstens über sich selbst und seine Mitmenschen, die das Problem möglicherweise gar nicht als solches betrachten.
Nützlich ist außerdem die hohe Akzeptanz und demokratische Legitimation der Entscheidungen aus Volksentscheiden. Der Nutzen existiert einerseits durch die Möglichkeit der Politik, sich - wenn sinnvoll - zusätzlich die Bestätigung des Volkes für eine bestimmte Entscheidung des Parlaments einzuholen. Andererseits können die Bürger mit ihren Entscheidungen Regierung und Parlament politisch binden. Missachtung dieser Entscheidungen zeugt von Ignoranz und hat wahrscheinlich Konsequenzen bei der nächsten Wahl.
Wichtig ist das Verständnis von Volksentscheiden als eine gewichtige Entscheidung durch das Volk. Ein ständiger "Beschuss" mit Volksabstimmungen hilft niemandem weiter und kann dazu führen, dass die tatsächlich bedeutsamen Themen untergehen. Das bedeutet, dass nicht alle möglichen Fragen abgestimmt werden und auch nicht immer wieder abgestimmt wird, etwa weil jemandem das Ergebnis nicht passt. Dies geht Hand in Hand mit der Rolle der Volksabstimmungen in Relation zu Parlament und Regierung, dem Charakter als wichtige oder bedeutende Sachfrage und der großen Wirkung einer direkten Entscheidung durch das Volk. Folglich dürfen und müssen Beschränkungen, Hürden und Regeln sich an diesem Verständnis messen lassen.
Umsetzung
Bei der Zulässigkeit von Themen lassen sich folgende Fälle ausschließen:
- menschen- grundrechts- und verfassungswidrige Änderungen
- Themen, für die der Freistaat Bayern nicht zuständig ist (sondern z. B. der Bund)
- der Staatshaushalt nach der Regelung in der Bayerischen Verfassung
Ausdrücklich begrüßt wird die Möglichkeit, den Landtag nach Art. 18 der Bayerischen Verfassung durch Volksentscheid abzuberufen.
Beim heutige Ablauf muss eine Initiative zunächst Unterschriften sammeln, um dann als Volksbegehren erneut einen Teil der Bevölkerung hinter sich zu versammeln, was im Erfolgsfall in einer Volksabstimmung mündet. Dieser Prozess ist akzeptabel, wenn die vorgesehenen Hürden angemessen sind, um die von der Bevölkerung gewünschten Entscheidungen zuzulassen. Dies ist allerdings zum Teil nicht der Fall.
Die erste Hürde von 25000 Unterschriften für die Zulassung soll erhalten bleiben. Die Unterschriftenzahl entspricht grob der Einwohnerzahl einer Kleinstadt. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass an dieser Hürde keinesfalls reihenweise Initiativen gescheitert sind.
Vielmehr war dies bei der Hürde vom Volksbegehren zur eigentlichen Volksabstimmung der Fall, die einigen Restriktionen unterliegt, an denen bereits weit fortgeschrittene Initiativen häufig doch noch scheitern. Die Authentizität der Unterschriften und damit die rechtmäßige Erfüllung des Quorums soll durch eine Überprüfung der Unterschriften sichergestellt werden. Folglich kann die Unterschriftensammlung auch frei auf der Straße erfolgen. Es ist sicherzustellen, dass jeder Staatsbürger, der sich regelmäßig im Land aufhält, die Unterschrift leisten kann. Dazu ist eine Sammelfrist von 6 Wochen angemessen. So kann dem Einzelnen auch etwa im Falle üblicher Urlaubsreisen oder ausgedehnter Dienstreisen während der Frist in aller Regel die Möglichkeit zur Abgabe der Unterschrift gewährleistet werden.
Desweiteren soll das notwendige Unterschriftenquorum von zehn Prozent auf fünf Prozent gesenkt werden - die gleiche Unterstützung benötigt auch bei eine Partei, um im Parlament die Gesetzgebung zu beeinflussen. Da für diese Änderung jedoch die Bayerische Verfassung geändert werden muss, wird dies relativ schwer umsetzbar sein und ist daher im Vergleich zur freien Sammlung und der Verlängerung der Sammelfrist nachrangig.
Es soll die Möglichkeit für die Regierung geschaffen werden, bereits gegen ein heraufziehendes und nicht nur gegen ein beantragtes Volksbegehren zu klagen, wenn dieses nach Meinung der Regierung unzulässig ist. Die Folge ist, dass durch sie keine Verunsicherung über eine Initiative mehr geschürt werden kann. Denn wenn die Regierung meint, ein Volksbegehren sei nicht zulässig, kann sie ja klagen. Tut sie das nicht, wird offensichtlich, dass ihr keine Gründe dafür vorliegen.
Beim Sammeln von Unterschriften und den dazugehörigen Formularen und bürokratischen Abläufen gab und gibt es einige Fallstricke wie die Beschaffenheit der zu verwendenden Formulare. Die Notwendigkeit einer solchen Hürde muss sich mit der Sicherstellung der demokratischen Integrität und Rechtmäßigkeit der Abstimmung und den mit ihr verbundenen Abläufen begründen lassen, ansonsten sind sie abzuschaffen.
Ein obligatorisches Referendum bei Änderung der bayerischen Verfassung ist unterstützenswert, da Änderungen an den Grundlagen von Demokratie und Staat nur mit Beteiligung und Zustimmung des Bürgers erfolgen sollten.
Die Interaktion mit dem Landtag während des Ablaufs ist zu befürworten. Das Volksbegehren soll im Parlament behandelt und abgestimmt werden. Hierbei haben die Initiatoren ein Rederecht. Lehnt der Landtag den Vorschlag ab, findet die Abstimmung durch das Volk statt. Außerdem hat der Landtag die Möglichkeit, einen konkurrierenden Vorschlag zur Abstimmung beim Volksentscheid zu stellen. Ebenso muss das Parlament einen Volksentscheid direkt beschließen können, z. B. um die Bevölkerung über besonders entscheidende Sachverhalte abstimmen zu lassen. Reflexartige, andauernde Forderungen aus der Opposition nach einem Volksentscheid bei missliebigen Beschlüssen sind hingegen abzulehnen.
Die Kosten für den Volksentscheid selbst hat hierbei der Staat zu tragen, so wie er sonst auch selbstverständlich die Kosten der Gesetzgebung in Form der Arbeit und Entscheidungsfindung der gewählten Repräsentanten des Parlaments trägt.
Findet am Ende ein Volksentscheid statt, wird zu diesem ein Infoblatt mit den Argumenten der Initiatoren und der Gegner erstellt. Dieses soll entweder an alle Haushalte verteilt oder den Kommunen zur Auslage überlassen werden, diesen ist die Weiterverteilung freigestellt. In jedem Fall muss das Infoblatt frei und in passender Form im Internet verfügbar sein.
Begründung
Hinweis: Dieser Antrag entstand u. a. durch und nach Beratung durch "Mehr Demokratie e. V." auf dem Frankenplenum im August 2011. Er ist jedoch nicht blind "abgeschrieben" und setzt die Forderungen des Vereins auch nicht eins zu eins um.
Kurz zusammengefasst:
- Piratenpartei ist ganz klar pro Volksentscheid, aber nicht völlig beliebig
- menschen- grundrechts- und �swidrige Änderungen ausgeschlossen
- 25 000 Unterschriften für ein Volksbegehren bleiben erhalten
- freie Stimmensammlung für einen Volksentscheid statt Gang zum Amt
- 4 statt 2 Wochen Sammelfrist für einen Volksentscheid
- Senkung des Unterschriftenquorums für einen Volksentscheid von 10 auf 5% (allerdings nachrangig, da Verfassungsänderung notwendig)
- keine unnötigen bürokratischen Fallstricke (z. B. Formulare)
- pro obligatorisches Referendum bei Verfassungsänderungen
- Rederecht für die Initiatoren bei der Behandlung im Landtag
- Möglichkeit einer direkten Initiierung eines Volksentscheids durch den Landtag
- Infobroschüre bei Volksentscheiden
Änderungen seit Januar 2012:
- 6 statt 4 Wochen Eintragungsfrist
- erweiterte Klagemöglichkeit der Landesregierung
- die Kosten des Entscheids trägt der Staat
Weiteres
Das Diskussionspapier unseres Referenten findet sich unter folgendem Link: http://wiki.piratenpartei.de/wiki/images/f/f8/Buergerbeteiligung.pdf
Landeswahlgesetz: http://by.juris.de/by/gesamt/WahlG_BY_2002.htm
Bayerische Verfassung: http://www.gesetze-bayern.de/jportal/portal/page/bsbayprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-VerfBY1998rahmen&doc.part=X
Beschluss
Dieser Antrag wurde auf dem Landesparteitag Bayern 2012.1 in Straubing als P109 angenommen (Protokoll).