BY:Frankenplenum/2011.1/Hochschulpolitik

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Der Begriff der "Freiheit" in der Hochschulpolitik

Einleitung

"Der wahre Zweck des Menschen, nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welche die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt, ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerläßliche Bedingung. [...] Gerade die aus der Vereinigung Mehrerer entstehende Mannigfaltigkeit ist das höchste Gut, welches die Gesellschaft gibt, und diese Mannigfaltigkeit geht gewiß immer in dem Grade der Einmischung des Staates verloren. Es sind nicht mehr eigentlich die Mitglieder einer Nation, die mit sich in Gemeinschaft leben, sondern einzelne Untertanen, welche mit dem Staat, d. h. dem Geiste, welcher in seiner Regierung herrscht, in Verhältnis kommen, und zwar in ein Verhältnis, in welchem schon die überlegene Macht des Staats das freie Spiel der Kräfte hemmt. Gleichförmige Ursachen haben gleichförmige Wirkungen. Je mehr also der Staat mitwirkt, desto ähnlicher ist nicht bloß alles Wirkende, sondern auch alles Gewirkte. [...] Wer aber für andere so räsoniert, den hat man, und nicht mit Unrecht, in Verdacht, daß er die Menschheit mißkennt und aus Menschen Maschinen machen will." Wilhelm Humboldt

"Ich frage mich ernsthaft, was will eine Gesellschaft mit Universitäten die genauso funktionieren wie sie selbst? Wenn die Gesellschaft geprägt ist von Wettbewerb, Mobilität, Flexibilität bis zum Anschlag. Was will sie mit Universitäten die auch nicht anderes sind als im Wettbewerb flexibel zu sein und bis zum Anschlag mobil zu sein. Was soll das? Universitäten müssen Plätze sein wo man mit den interessantesten Leuten über die abstrusesten Fragen sprechen kann. [...] [Sie] muss ein Schutzraum sein, [sie] darf eben nicht solchen Begriffen wie Effizienz ausgesetzt sein. Wissenschaft ist per Definition total ineffizient. Warum? Weil wir nicht wissen was passieren wird. [...] Müntefering hat mal gesagt 'Man muss doch mal ungefähr wissen was dabei herauskommt'. Das ist doch keine Wissenschaft.[...]" Harald Lesch

"[Hochschulen sollten] im Wettbewerb ihre Leistungsfähigkeit entwickeln, wirtschaftlich den Einsatz ihrer Ressourcen gestalten, international an der globalen Wissenschaftsentwicklung teilhaben, virtuell die Chancen neuer Medien nutzen, profiliert ihre eigene Identität finden, autonom ihre Ressourcen, ihr Personal und ihre Organisation entwickeln, damit sie wissenschaftlich ihre Aufgaben in Forschung, Lehre und Weiterentwicklung erfüllen könnten." Detlef Müller-Böling[1]

Ziel des Workshops

Im Wahlprogramm der letzten Bundestagswahl sprechen sich die PIRATEN neben dem freien Zugang zu öffentlich finanzierten Bildungseinrichtungen für eine demokratische Organisation dieser Bildungseinrichtungen aus.

Bisher gibt es wenig konkrete Aussagen (Positionspapiere) wie die Freiheit im Bildungssystem tatsächlich umgesetzt werden soll. In diesem Workshop wollen wir dem Begriff der Freiheit in der Hochschulpolitik nachgehen. Aus dem Wahlprogramm lassen sich viele Fragen ableiten, einige sollen hier genannt werden:

  • Wie muss Forschung und Lehre organisiert sein, um die Entwicklung zur mündigen, kritischen und sozialen Person zu unterstützen?
  • Was genau beinhaltet der freie Zugang zu Bildungseinrichtungen?
  • Welche Vorraussetzungen müssen erfüllt sein um eine angemessene Einflussnahme alle Hochschulangehöriger zu ermöglichen?
  • Was ist unter leistungsfähige[n] und dem Zweck angemessene[n] Hochschulen zu verstehen?
  • Welche Bedeutung haben die Begriffe Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie?

Hintergrund

Um die derzeitige hochschulpolitische Lage und Entwicklung einschätzen und bewerten zu können, ist ein kurzer historischer Exkurs zu den Hochschulreformen der Nachkriegszeit sinnvoll[2]:

Das Humboldtsche Universitätsmodell

Bis in die 60iger Jahre des letzten Jahrhunderts waren die Hochschulen im wesentlichen das Produkt der Preußischen Hochschulreform von 1810 und somit dem Humboldtschen Modell verpflichtet. Die Hochschulen basierten auf einem patriarchalischen Modell wobei der Zugang der sog. gesellschaftlichen Elite vorbehalten war. Der Humboldtsche Anspruch der Autonomie ermöglichte es der Wissenschaft sich unabhängig von ideologischen Zwängen und politischen Machtzugriffen aus Religion und Feudalismus zu entfalten. Allerdings sollte Wissenschaft damit auch ein Stück weit von der gesellschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden. Sie war viel mehr ein "Staatsdienst", der zuvorderst die Ausbildung von Staatsbediensteten sowie Ärzten und Anwälten zur Aufgabe hatte. Das Humboldtsche Ideal wird oft auch die von "Einheit von Forschung, Lehre und Wissenschaft" reduziert. Es bedeutet, dass Forschungsergebnisse direkt in die Lehre fließen und setzt somit auch eine fortwährende Forschungstätigkeit der Lehrenden voraus. Gleichzeitig wird dem Nützlichkeitsprinzip eine Absage erteilt, es geht um die "reine Wissenschaft" (man spricht dann oft auch vom Elfenbeinturm der Wissenschaftler). Das zweite Humboldtsche Ideal der "Bildung durch Wissenschaft" ging von einer aktiven Haltung der Studenten aus, Wissen soll nicht nur erworben ("konsumiert") werden, sondern auch zu selbständigen Handeln erziehen.

Der rasante Fortschritt in naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und die technische Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben an diesem institutionellem Grundmuster und dem entsprechenden Habitus nur wenig geändert. Auch die Wiedereinführung der Demokratie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges führte trotz "Selbstgleichschaltung" der Hochschulen während der Nazizeit nicht zu einer Reform der Hochschulen. Erst der Druck durch der 68iger Studentenbewegung und des damaligen akademischen Mittelbaus sowie die Notwendigkeit der Modernisierung in Wissenschaft und Technik hat zur Demokratisierung der Hochschulen geführt. Ergebnis war einerseits die Umwandlung in die sog. "Gruppenuniversität" und die soziale Öffnung der Hochschulen für weite Teile der Gesellschaft.

Sozialliberale Hochschulreform

Der steigende Bedarf an Arbeitskräften in den 60iger Jahren führte u.a. zu massiven Reformdruck im Ausbildungswesen und insbesondere auf die Hochschulen. Die Ausbildung der Studenten sollte nun vermehrt den wirtschaftlichen Ansprüchen genügen, der Theorie vom "Humankapital" wurde in dieser Zeit entwickelt[3].Der vom Großbürgertum geforderte Hochschulausbau ging dabei Hand in Hand mit der Reform der Ausbildung:

  • Einführung eines Numerus Clausus sowie von Zwischen- und Abschlussprüfungen
  • Zweiteilung des Studiums in ein erstes berufsqualifizierendes und ein zweites wissenschaftliches, das jedoch nur wenigen Studenten ermöglicht werden soll
  • Verkürzung der Studienzeiten
  • Einführung von Elite-Universitäten

Die Forderungen der Studentenbewegung entsprangen dagegen einem grundsätzlichen Bedürfnis nach Demokratisierung:

Bildungsexpansion und Chancengleichheit
Ein Grundrecht auf Bildung sollte unabhängig von wirtschaftlichen Aspekten für alle Menschen gelten. Der Staat hat dabei für die Einlösung der Rechte zu sorgen. Barrieren beim Zugang zu Bildung sollen abgebaut werden.
Einheitlichkeit der Hochschulen
Im Sinne der Chancengleichheit ist eine horizontale und keine vertikale (siehe z.B. Hochschulsystem der USA) Differenzierung anzustreben.
Demokratisierung und Mitbestimmung
Alle Gruppen der Hochschule (Professoren, Mitarbeiter, Studenten) sollen durch entsprechende Zusammensetzung der Hochschulorgane gewährleistet sein.

Die Hochschulen wurden damit bewusst zu Massenbetrieben, die autonome Gruppenuniversität ist dabei aber nicht in allen Belangen umgesetzt worden. Vielmehr ist zu einer weitgehend staatlich regulierten und von Professoren dominierten Verwaltungsstruktur gekommen. Die Hochschulreform ist dem Anspruch der 68iger Bewegung nicht gerecht geworden. So wurde u.a. die angestrebte Chancengleichheit wird nicht erreicht. Im Gegenteil, bereits privilegierte gesellschaftliche Gruppen profitieren am meisten von der Hochschulerweiterung [2]. Ein weiteres Ergebnis ist die "Überproduktion" von Akademikern, die unter den Studenten zu Anpassungsdruck führt und gemeinhin als eine "Entpolitisierung" der Studenten wahrgenommen wird.

Neoliberale Hochschulreform

Spätestens seit den 90iger Jahren kommt es, nicht nur in Deutschland, zu einer Vervielfachung der Unternehmensgewinne bei gleichzeitiger Verteilung des Vermögens von unten nach oben. Die Folge ist eine Verarmung weiter Bevölkerungsteile. Damit einher geht ein Kreislauf aus Steuersenkungen und Privatisierungen, da einerseits privates Kapital neue Anlagemöglichkeiten sucht und andererseits die leeren Kassen der öffentlichen Hand durch Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und Dienstleistungen entlastet werden sollen. Von dieser Prämisse ist der öffentliche Bildungssektor nicht ausgenommen. Bildung ist nun kein Schlüssel mehr zur persönlichen Entfaltung und sozialen Teilhabe sondern einfach ein weiterer Standortfaktor, der Begriff des "Humankapitals" hat sich letztlich damit durchgesetzt. Die fortschreitende Unterfinanzierung des Hochschulen (bzw. des Bildungssystems allgemein) konnte relativ konfliktfrei durchgesetzt werden, da der Zugang zu den Hochschulen kaum oder nicht beschränkt wurde, die finanzielle Ausstattung aber nicht an wachsende Studentenzahlen angepasst wurde. De facto kam und kommt es damit zu einer Absenkung der Bildungsqualität. Gleichzeitig konnte ein Eigenbeitrag der Studenten bzw. deren Eltern in vielen Bereichen durchgesetzt werden (z.B. Studiengebühren).

Die Schlagworte der neoliberalen Hochschulreform sind weithin bekannt, ein großer Teil dieser Punkte ist nicht auf Deutschland beschränkt sondern geschieht europaweit (Bolognaprozess):

  • Studiengebühren
  • Umstellung auf zweistufige Studiengänge (Bachelor/Master)
  • Modularisierung und Internationalisierung
  • Globalhaushalte
  • leistungsorientierte Mittelvergabe und Bezahlung
  • Exzellenzinitiative und Elite-Unis
  • Evaluierung und Akkreditierung

Grundgedanke dieser Reform ist das Prinzip der "Hochschule als marktgesteuertes Dienstleistungsunternehmen". Hochschulen sollen untereinander und international in Wettbewerb um Studenten und wissenschaftlichen Nachwuchs treten. Primäres Ziel der Forschung sind ökonomisch verwertbare Ergebnisse. Absolventen sollen in erster Linie die Anforderungen der Unternehmen erfüllen, statt universitärer Bildung geht es primär um eine Hochschulausbildung.

Im Wesentlichen lassen sich drei Eckpunkte der Reform festmachen:

Umbau der Hochschulen nach betriebswirtschaftlichen Erfolgskriterien
Evaluation aller möglichen Bereiche in Forschung und Lehre. Damit soll Vergleichbarkeit der Ergebnisse erreicht werden.
Leistungs- bzw. erfolgsorientierte Mittelvergabe (z.B. nach eingeworbenen Drittmitteln). Damit wird alles was nicht der unmittelbaren "Steigerung der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit"[4] dient, weggespart.
Erhebung von Studiengebühren. Studenten werden damit zu Kunden ihrer Hochschule. Ein Hochschulabschluss soll damit als Investition in das eigene Humankapital betrachtet werden.
Umbau der internen Organisationsstruktur
Anstelle der staatlich regulierten und selbstverwalteten Hochschule tritt das Organisationsmodell einer Kapitalgesellschaft mit Vorstand und Aufsichtsrat. Entscheidungsbefugnisse von Senat und Fakultäts- bzw. Fachbereichsrat werden zugunsten der Hochschulleitung beschnitten. Die Mitbestimmung aller Hochschulgruppen wird zum großen Teil symbolisch, Präsident und Hochschulrat stellen nun das "Management" der Hochschule dar.
Gesellschaftliche Legitimation durch Außenstehende
Der Hochschulrat übernimmt die Aufgaben eines "Aufsichtsrat" und soll zum überwiegenden Teil aus externen Personen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bestehen.


Weiterführende Links

Empfohlene Lektüre zur Vorbereitung

Weitere Infos

Quellen