Archiv:2008/Piratenmagazin/Buchrezensionen
- Verfasser: Hoshpak
- Erstellt am: 17.05.2008
- Rechte: cc-by (Text), normales Urheberrecht (Fotos)
- Stand: in Arbeit
Little Brother
Markus ist eigentlich ein ganz normaler 17-jähriger Schüler in einem San Franzisco, das dem realen relativ ähnlich ist. Anders als in der realen Stadt wird dort aber an jeder Ecke modernste Überwachungstechnologie eingesetzt. Markus versteht es bestens, diese Technologie zu unterlaufen, um unbeobachtet mit seinen Freunden zu kommunizieren oder auch einfach unbemerkt die Schule zu verlassen, um in der realen Welt Rätsel aus Onlinespielen zu lösen. Doch auf einmal ändert sich alles. Eine Bombe explodiert, Alarmsirenen dröhnen und Markus und seine Freunde werden in der Nähe des Anschlagsorts gefangen genommen, in ein Geheimgefängnis gebracht, verhört und gefoltert. Nach seiner Freilassung beschließt Markus schließlich, den Kampf gegen das Department of Homeland Security, das seine Stadt zu übernehmen droht und jeden zum Verdächtigen macht, aufzunehmen. Ein ständiges Katz- und Maus-Spiel beginnt.
Cory Doctorow vermischt in diesem Buch meisterhaft Realität und Fiktion. Die meisten im Buch erwähnten Technologien existieren bereits, ebenso geheime und weniger geheime Gefängnisse für Terrorverdächtige, in denen die Gefangenen praktisch rechtlos sind und staatlich legitimierter Folter unterzogen werden. Doch gerade diese Mischung macht das Szenario so beklemmend. Cory Doctorow schafft nicht einfach eine Welt basierend auf möglicher zukünftiger Technologie, sondern ein Szenario, das theoretisch so jederzeit passieren kann. Andererseits macht es einfach Spaß zu lesen, wie ein technisch versierter Jugendlicher das gesamte Überwachungssystem austrickst und eine Revolte gegen eine übermächtige Behörde lostritt.
Das Buch ist, wie bereits die letzten Werke Doctorows, kostenlos zum Download in unterschiedlichen Formaten erhältlich und steht unter einer Creative Commons-Lizenz. Eine deutsche Übersetzung gibt es bis jetzt leider nicht. Wer ausreichende Englischkentnisse hat und an der Thematik interessiert ist, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.
Das Ende der Privatsphäre
Peter Schaar ist seit 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, er gilt darüber hinaus seit langem als anerkannter Experte auf dem Gebiet des Datenschutzes. Das vorliegende Buch ist nun eine ausführliche Bestandsaufnahme der Entwicklung des Datenschutzes von der Antike bis heute.
Dabei gelingt es ihm, die an sich trockene und für viele Menschen leider uninteressante Thematik lebendig zu vermitteln und die Notwendigkeit eines modernen Datenschutzes klar darzustellen. Nahezu keine Entwicklung der letzten Zeit wird ausgelassen und jede Entwicklung wird fundiert und allgemeinverständlich geschildert.
Das Fazit fällt dann natürlich nicht ganz so reißerisch aus, wie der Titel. Peter Schaar plädiert letztendlich für ein modernes Datenschutzrecht, das sich ständig der technischen Entwicklung anpasst, einen verantwortungsvollen Umgang mit den technischen Möglichkeiten propagiert und der Datensammelwut von staatlichen und privaten Stellen einen Riegel vorschiebt.
Das Buch schildert sehr eindrücklich, wie weit die staatliche und private Überwachung bereits fortgeschritten ist und ist ein gutes Grundlagenwerk, was den Datenschutz angeht. Auch erfahrene Datenschützer werden hier noch das eine oder andere Neue erfahren und für Menschen, die sich noch nicht mit der Thematik beschäftigt haben oder der Meinung sind, "nicht zu verbergen" zu haben, könnte dieses Buch der passende Weckruf sein.
Und jetzt?
"Bisher haben die Menschen immer Wege gefunden, der dominanten Macht zu widerstehen, gegen sie zu rebellieren, sie sogar zu überwinden. Nicht mein Optimismus, sondern mein Verstand sagt mir, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass die Geschichte gerade heute zum Stillstand gekommen sein soll." Mit diesem vorweggenommenen Fazit des Buchs anhand eines Zitats von Michael Hardt, ist der Inhalt des Buchs schon ganz gut angedeutet. Das Buch sammelt primär bisherige Protest- und Widerstandsformen und analysiert die heutige Bedeutung der einzelnen Akteure. (Bürger, Konzerne, NGOs, Gewerkschaften, Parteien, ...)
Dabei kommt es zu einem interessanten Streifzug durch moderne Protest- und Widerstandsformen und den Reaktionen des Staates, vom Coca Cola-Skandal in Indien, über das Weltwirtschaftsforum in Davos bis hin zu den relativ erfolglosen "Montagsdemonstrationen" gegen Hartz4.
Auch aktuelle Entwicklungen wie Verbraucherboykotte [aussichtsreiche als Form des Protests|unverständlich, was ist damit gemeint?], künstlerischer Protest und die "Yes Men" werden näher beleuchtet. Im Kapitel "Parteien" findet sich sogar ein eigener Abschnitt über die Piratenpartei.
Insgesamt kann man das Buch nur jedem Menschen, der sich politisch engagieren möchte und Möglichkeiten sucht, etwas zu verändern, empfehlen. Für Piraten fast schon eine Pflichtlektüre.