Antragstitel
Änderung der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie zur Stabilisierung der Staatshaushalte und sozialen Systeme
Antragstext
Der Bundesparteitag möge beschließen, den folgenden Text im (ggf. nationalen Teil des) Wahlprogramm(s) zur kommenden Europawahl im Kapitel "Steuern und Haushalt" einzufügen:
Wir PIRATEN wollen EU-weit die notwendigen steuerrechtlichen Voraussetzungen für die Stabilisierung der Staatshaushalte herbeizuführen. Hierzu sehen wir es als erforderlich an, die Wirtschaftskreisläufe der jeweiligen Mitgliedsstaaten steuerrechtlich zu schließen.
Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie der EU beinhaltet an verschiedenen Stellen systematische steuerlich bedingte Wertabflüsse und Kostenspiralen, welche die wirtschaftliche Stabilisierung eines Staates und damit die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens erschweren. Nach dem für die Mehrwertsteuer geltenden Bestimmungslandprinzip entsteht einem Staat bei Export einen Verlust des jeweiligen inländischen Produktionswertes in Höhe der dort geltenden Mehrwertsteuer, während der importierende Staat in Höhe seiner Mehrwertsteuer an der ausländischen Produktion gewinnt.
Nicht nur Exporte sind EU-weit von der Mehrwertsteuer befreit, sondern auch Mieten, gesundheitliche und soziale Leistungen. Der ursprünglich sozialpolitisch motivierte Zweck wurde mit den Steuerbefreiungen nicht erreicht; im Gegenteil: durch die Steuerbefreiung verteuern sich diese Leistungen stetig, während die Sozialsysteme vieler Mitgliedsstaaten vor dem Zusammenbruch stehen.
Die Piratenpartei setzt sich daher für eine Änderung der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie ein. Wir fordern die Einführung des Herkunftslandprinzips bei der Mehrwertsteuer, damit der Produktionswert eines Staates vollständig im jeweiligen Inland verbleiben kann. Darüber hinaus befürworten die PIRATEN die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiungen bei den Mieten, sozialen und gesundheitlichen Leistungen, damit die Mehreinnahmen dem ursprünglichen sozialpolitischen Zweck zugeführt werden können.
Antragsbegründung
Prinzipien und Zusammenspiel der Steuern
Derzeit sind alle Mitgliedstaaten vertraglich verpflichtet, Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Waren und Dienstleistungen zu erheben. Alle Mitgliedsstaaten erheben daneben Einkommensteuer und ggf. Sozialversicherungsbeiträge in sehr unterschiedlicher Höhe. Es werden daher sowohl die Einkünfte aller EU-Bürger mit Steuern und Abgaben belegt, als auch der Verbrauch von Gütern innerhalb der EU.
Exporte in das Ausland oder in einen anderen Mitgliedstaat sind hingegen von der Mehrwertsteuer befreit. Importe erfolgen an Unternehmer netto ohne Mehrwertsteuer; im Inland wird dann inländische Umsatzsteuer erhoben und zeitgleich die gezahlte Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug zugelassen, so dass der importierende Unternehmer zunächst nicht belastet ist. Erst bei Warenumsatz an den privaten Endverbraucher nimmt der Staat die Mehrwertsteuer ein, die er dann nicht mehr dem Käufer als Vorsteuer erstatten muss.
Die Mehrwertsteuer auf die Lieferung von Waren folgt damit dem Bestimmungslandprinzip, denn der Mehrwert eines innerhalb der EU hergestellten Produktes oder Produktionsteils fließt dem Land zu, für welches es bestimmt ist, d.h. in welchem das (daraus entstandene) Endprodukt vom Konsumenten verbraucht wird. Allen übrigen an der Produktion beteiligten Staaten hingegen geht der Mehrwert aus der landeseigenen Produktion durch den Export verloren.
Die Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen und andere sonstige Leistungen folgt hingegen dem Herkunftslandprinzip, denn die Besteuerung erfolgt in dem Staat, indem die Dienstleistung oder sonstige Leistung erbracht wurde.
Während Staatshaushalte vorwiegend importierender Mitgliedsstaaten von den Exportsubventionen in Höhe der Mehrwertsteuer profitieren, leiden die Staatshaushalte vorwiegend exportierender Länder unter dem Einnahmen-Verlust bei der Mehrwertsteuererhebung und müssen den Ausgleich für den Einnahmenausfall in einer höheren Einkommensversteuerung zulasten der eigenen Bevölkerung suchen.
Die Einkommensbesteuerung erfolgt weltweit in dem Land, in dem eine Person ihren Wohnort oder gewöhnlichen Aufenthalt bzw. ein Unternehmen seinen Geschäftssitz hat. Sie unterliegt nicht EU-weiten Regelungen, sondern in der Einkommensversteuerung sind die einzelnen Staaten souverän. Bilaterale Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung sehen grundsätzlich vor, dass Einkünfte in demjenigen Staat der Besteuerung unterliegen, in welchem sie erbracht wurden oder entstanden sind, während der Wohnsitzstaat die ausländischen Einkünfte von der Besteuerung freistellt und im Ausland entrichtete Steuern auf die inländische Gesamtbelastung ggf. anrechnet. Die Einkommensbesteuerung folgt daher wie die Umsatzsteuer auf Dienstleistungen und andere sonstige Leistungen dem Herkunftslandprinzip.
Auswirkungen des Bestimmungslandprinzips
Wird in einem Land mehr verbraucht als produziert, bedeutet dies auch immer, dass der entsprechende Staat und seine Bevölkerung über die Verhältnisse lebt und sich verschuldet, wenn es nicht anderen Staaten durch sonstige Leistungen dienlich ist, von dort Subventionen erhält oder über andere Einnahme-Quellen verfügt. Der Verzicht auf die Mehrwertsteuereinnahmen bei Export ist eine solche Subvention.
Durch das nicht nur EU-weit sondern auch durch zahlreiche bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen festgelegte Bestimmungslandprinzip bei der Mehrwertsteuer leisten nicht nur reiche Industrienationen entsprechend ihres Exportvolumens einen finanziellen Beitrag zur technischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Konsums in Ländern, welche hinter dem Fortschritt Zentraleuropas hinterherhinken.
Alle Staaten innerhalb der EU mit Importüberschuss aber auch alle Staaten außerhalb der EU profitieren von den Subventionen des jeweilig exportierenden Mitgliedstaates, der bei Export in ein Drittland, welches nicht zur EU gehört, den Verlust des innerhalb der EU geschaffenen Mehrwertes für alle beteiligten Staaten ebenfalls manifestiert. Nicht nur bedürftige Staaten werden mit den Exportsubventionen bedacht, auch reiche Nationen profitieren vom europäischen Exportprodukt.
Das Bestimmungslandprinzip hat darüber hinaus unsoziale und entwicklungshemmende Wirkung im produzierenden Staat. Wird nämlich die Produktion oder Veredelung eines für eine reiche Industrienation bestimmten Produkts in einen Staat mit niedrigerem Lohnniveau verlegt, ist damit nicht nur ein niedriger Endproduktpreis gewährleistet, und die Industrienation hat sich um den Mehrwert des ausländischen Produktionsteils bereichert, es besteht darüber hinaus im produzierenden Staat weniger die Möglichkeit, dass die Bevölkerung durch eigene Kraft langfristig einen stabilen Staatshaushalt erreicht.
Während die Menge des Konsums importierter Produkte durch die Bevölkerung die Höhe der staatlich empfangenen Subventionen bestimmt und so die Abhängigkeit von reichen Industrienationen verstärkt, verliert dem Staat die Mehrwertsteuereinnahme aus der Produktion seiner Bevölkerung und subventioniert gleichzeitig die verbrauchende Industrienation. Reichen darüber hinaus im produzierenden Staat die Löhne kaum aus, eine Familie zu ernähren, kann der dortige Staatshaushalt auch keine hohen Einnahmen durch die Erhebung von Einkommensteuer erwarten, welche den erarbeiteten Lohn zusätzlich schmälern würden.
Einführung des Herkunftslandprinzips
Um die Schließung der Wirtschafts- und Konsumkreisläufe zu forcieren, wirtschaftliche Stabilität und Wirtschaftswachstum aus eigener Kraft zu ermöglichen und Abhängigkeiten zu verhindern, ist es zielführend, den gesamten Produktionswert, den die jeweilige Bevölkerung geschaffen hat, durch Umstellung des am Verbrauch orientierten Bestimmungslandprinzips auf das an innerstaatlicher Produktion orientierte Herstellungs- bzw. Ursprungslandprinzip im jeweiligen Staat zu belassen.
Die Einführung des Herkunftslandprinzips bei der Mehrwertsteuererhebung soll nicht nur den Mitgliedsstaaten sondern es global ermöglichen, den Produktions- und Konsumkreislauf innerhalb eines jeweiligen Staates oder Staatenbundes zu schließen, in wirtschaftsschwachen Staaten einen gesunden, an der jeweiligen produktiven Eigenleistung der Bevölkerung orientierten Staatshaushalt voranzutreiben und Subventionen nötigenfalls transparent und zielgerichtet zu vergeben.
Kostenspiralen im Miet- Gesundheits- und Sozialwesen
Auch Mieten, gesundheitliche und soziale Leistungen sind von der Mehrwertsteuer befreit. Die ursprünglich sozialpolitisch motivierte Regelung hat sich deshalb als Kostenspirale herausgestellt, die ihren Zweck verfehlt. Der Bundesregierung ist dies seit dem Jahr 2010 gutachterlich bekannt (vgl. Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel-und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts-, steuer-und haushaltspolitischen Gesichtspunkten; Endbericht eines Forschungsgutachtens im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), S. 169, Saarbrücken, im September 2010)
Vermieter, Ärzte, Banken und andere medizinisch und sozial Leistende sind im Gegensatz zu allen anderen Unternehmern - auch Exporteuren - vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Finanziell sind sie benachteiligt, denn ihnen ist es mit der Mehrwertsteuerbefreiung verwehrt, die in ihren Betriebsausgaben enthaltene und gezahlte Mehrwertsteuer als Vorsteuer erstattet zu bekommen. Mit anderen Worten: ein umsatzsteuerpflichtiges Unternehmen zahlt effektiv z.B. 1,- € netto für einen Bleistift, da es von dem gezahlten Preis in Höhe von 1,19 € bei der Umsatzsteuervoranmeldung 0,19 € wieder erstattet bekommt; Konsument, Vermieter, Versicherungsvermittler, Arzt oder Krankenhaus etc. zahlen hingegen 1,19 € für den identischen Bleistift. Die höheren Kosten sind wiederum in dem Produkt- oder Dienstleistungspreis bzw. Honorar oder der Miete enthalten, da diese auch die regelmäßig anfallenden Betriebsausgaben decken sollen.
Während der Staat aus den Anschaffungs- und Betriebskosten aller Wohnhäuser, Arztpraxen, Krankenhäusern und Reha-Zentren die Mehrwertsteuer einnimmt, steigen seit Geltung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie zum 01.01.1968 die Ausgaben im gesundheitlichen Bereich jährlich um den verwehrten Vorsteuerabzug auf Gebäude, medizinisches Gerät und andere umsatzsteuerpflichtige Anschaffungen und Dienstleistungen. Es verteuert sich die Miete, das Arzt- oder Krankenhaus-Honorar und die Bankgebühr um den Mehraufwand der leistenden Vermieter, Mediziner und Banken, den diese gegenüber allen anderen Unternehmern tragen.
Die staatlichen Einnahmen aus dem verweigerten Vorsteuerabzug z.B. im medizinischen Bereich werden hingegen nicht wieder in den Gesundheitsfonds eingespeist, um den ursprünglich verfolgten sozialpolitischen Zweck der Mehrwertsteuerbefreiung zu erfüllen. Statt dessen leiden die Sozialsysteme innerhalb der EU unter den immer weiter steigenden Gesundheitsausgaben, während deren Einnahmen von der Arbeitslosen-Quote und dem Lohnniveau eines Staates - in Deutschland zudem von der Beitragsbemessungsgrenze und der Art der Einkünfte - abhängt.
Wir PIRATEN setzen sich für eine langfristige Stabilisierung der Gesundheitskosten, sozialen Leistungen und Mieten ein, indem die Mehrwertsteuerbefreiungen in diesen Wirtschaftszweigen entfällt und den betroffenen Unternehmen Vorsteuerabzug gewährt wird. Eine etwaige Mehrbelastung der Bevölkerung soll durch Transferleistungen, z.B. durch Anpassung der Höhe der Sozialleistungen und der einkommensteuerlichen Freibeträge ausgeglichen werden, während Wohnkonsum nicht weiter durch die Steuerbefreiung subventioniert wird.
Langfristig kann durch Beseitigung der Mehrwertsteuer-Befreiungen und -Ermäßigung die Schere zwischen Arm und Reich national, kontinental und global geschlossen werden.
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Kontakt zu den Antragsstellern:
Verena Nedden
PIRATAXEL
Weitere Informationen:
Konsumsteuersystem
Stell dir vor es ist Einkommen und alle haben es! Gemeinschaftliches Konsumsteuersystem
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Siehe auch folgenden Gesamtantrag:
WP005 Steuerliche Änderungen zur Vorbereitung eines bedingungslosen Grundeinkommens
Diskussion
- Vorangegangene Diskussion zur Antragsentwicklung: {{{diskussionVorher}}}
- [{{{antragsdiskussion}}} Pro-/Contra-Diskussion zum eingereichten Antrag]
Konkurrenzanträge
WP005
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