RP:Beschlüsse des Landesverband Rheinland-Pfalz/Für ein freies und demokratisches Bildungssystem!
Beschlossen auf dem Landesparteitag am 29.11.2009 in Limburgerhof:
Inhaltsverzeichnis
- 1 Für ein freies und demokratisches Bildungssystem!
- 1.1 Zugang zu Bildung verbessern!
- 1.2 Investitionen in Bildung aufstocken
- 1.3 Lehr- und Lernmittelfreiheit und Open Access für Rheinland-Pfalz!
- 1.4 Bildungseinrichtungen demokratisieren!
- 1.5 Beabsichtigtes Landeshochschulgesetz stoppen!
- 1.6 Bologna-Reform reformieren!
- 1.7 Freies, individuelles Lernen ermöglichen!
Für ein freies und demokratisches Bildungssystem!
Die Piratenpartei Rheinland-Pfalz solidarisiert sich mit den derzeit streikenden Schülern und Studenten im Land und fordert radikale Veränderungen im Schul- und Bildungssystem. Die Aktuelle Situation an Schulen und Hochschulen entspricht nicht unseren Vorstellungen von Bildung in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Wir sehen Bildung als unabdingbares Menschenrecht und fordern Chancengleichheit und den freien Zugang zu Informationen und Bildung für alle Menschen sowie eine demokratische Organisation der Lehr- und Lerneinrichtungen. Wir fordern einen massiven Ausbau der Investitionen ins Bildungssystem und die Gewährleistung freien, selbstbestimmten Lernens im gesamten Bildungsweg.
Zugang zu Bildung verbessern!
Der freie Zugang zu Information, Bildung, Ausbildung und Weiterbildung ist für die Gesellschaft und eine starke Demokratie dringend notwendig und eine der wichtigsten Ressourcen und Investitionen in die Zukunft. Er ist daher im Interesse aller und es ist vordergründige staatliche Aufgabe eine gute und moderne Bildungsinfrastruktur zu finanzieren und jederman frei und kostenlos zur Verfügung zu stellen. Der Zugang zur Hochschule ist aktuell entgegen aller Lippenbekenntnisse stark eingerschränkt und für viele Menschen unmöglich. Viele Menschen können ihr Recht auf ein Studium nicht wahrnehmen, viele müssen ihr Studium vorzeitig abbrechen. Bewerber werden durch hohe NC-Hürden daran gehindert, überhaupt erst ein Studium zu beginnen. Gründe verschiedenster Art, wie Kindererziehung, soziales Engagement, Studiengangwechsel, Selbstfinanzierung und/oder familiäre, bzw. persönliche Schwierigkeiten erschweren die Durchführung des Studiums in Regelstudienzeit. Unserer Auffassung nach ist viel zu wenig Lehrpersonal vorhanden, um allen Studieninteressierten die Möglichkeit zur Aufnahme eines von ihnen gewünschten Studiums zu geben, oder auch nur den schon Studierenden gute Lernbedingung zu bieten und deren individuelle Betreuung zu ermöglichen. Die Konsequenz ist aktuell der Ausschluss Interessierter von einem Studium ihrer Wahl und überfüllte Veranstaltungen.
Arbeitsaufwand und Anzahl Studierender pro Veranstaltung sind zu hoch, so dass Dozierende sich zwischen Vernachlässigung der Lehre und damit der Verpflichtung gegenüber den Studierenden oder Vernachlässigung der Forschung und damit der eigenen wisschenschaftlichen Karriere entscheiden müssen. Wir fordern die Gewährleistung des in der Verfassung verbrieften Rechts auf Bildung für alle Menschen und wollen die Hochschulen so ausstatten, dass dies uneingeschränkt wahrgenommen werden kann. Körperliche, soziale und finanzielle Beeinträchtigungen dürfen kein Hindernis für die Zulassung zu einem Studium und dessen erfolgreicher Durchführung und Beendigung sein. Eine ausreichende Finanzierung und Ausstattung der Hochschulen wollen wir sicherstellen. Die deutliche Erhöhung des BAFöG-Satzes sehen wir als dringend notwendig an und messen ihre hohe Priotität bei. Wir fordern die Abschaffung von Zulassungsbeschränkungen für alle Studiengänge. Mit einem an der Anzahl der Studieninteressierten orientierten Ausbau von Studienplätzen wollen wir jegliche Zulassungsbeschränkung obsolet machen. Die Wahl des Studienganges muss auf Grund des Interesses und nicht auf Grund von hohen NC-Hürden getroffen werden.
Investitionen in Bildung aufstocken
Der prozentuale Anteil der Ausgaben für den Bereich Bildung am gesamten Bruttoinlandsprodukt sinkt jährlich. Wir fordern drastische Investitionssteigerungen, um gute Bildung für jedermann zu ermöglichen. Wir fordern die Einstellung neuen Lehrpersonals an Hochschulen in ausreichender Zahl, um sowohl allen Studieninteressierten einen Platz in dem von Ihnen gewünschten Fach und Abschluss zur Verfügung stellen zu können, als auch allen Studierenden eine individuelle Betreuung durch die Leiter der jeweiligen Lehrveranstaltungen zu gewährleisten. Die an Forschung und Lehre Beteiligten müssen besser entlohnt werden. Die Entwicklung rückläufiger Investitionen in Universitäten wollen wir stoppen. Schlechte Lernbedingungen und prekäre Beschäftigung werden wir nicht dulden. Im Bereich der Schulen fordern wir die Einstellung von mehr Lehrern und kleinere Klassen von maximal 20 Schülern pro Klasse. Wir fordern die Abschaffung des Studienkontenmodells, das finanziell Schwächere in der Durchführung und am erfolgreichen Abschluss eines Studiums effektiv benachteiligt. Die verfassungswidrige Landeskinderregelung muss ersatzlos aus dem Landeshochschulgesetz gestrichen werden. Durch ausreichende Möglichkeiten für Teilzeit- und Abendstudien wollen wir auch Berufstätigen und anderweitig zeitlich Belasteten ein Studium ermöglichen. Gebühren jeglicher Art sowie finanzielle und personelle Engpässe – gerade an den Hochschulen – schränken den Zugang zu Bildung ein und werden deshalb von uns kategorisch abgelehnt. Ein Studium ohne Abhängigkeit von Krediten und ohne Schuldenberg nach Studienabschluss muss gewährleistet sein. Wir fordern daher die gesetzlich verankerte Gebührenfreiheit und einen drastischen Ausbau der Investitionen in Schule und Hochschule: Das Bildungsangebot darf sich nicht weiter den knappen Ausgaben anpassen, sondern wir wollen die Ausgaben im Bildungsbereich an die Notwendigkeiten angleichen! Ein Studium ohne Abhängigkeit von Krediten muss gewährleistet sein. Eine private Finanzierung öffentlicher Bildungseinrichtungen muss stets kritisch hinterfragt werden. Ein Einfluss auf Lehrinhalte muss ausgeschlossen sein. Einer Kommerzialisierung von Schulen und Hochschulen stellen wir uns entschieden entgegen. Exzellenzinitiativen wollen wir kritisch überprüfen, damit sich nicht in Konkurrenz um Fördergelder nur noch wenige Hochschulen gute Lehre und Forschung leisten können.
Lehr- und Lernmittelfreiheit und Open Access für Rheinland-Pfalz!
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit besteht die Möglichkeit unser komplettes Wissen zu sammeln, zu speichern und für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Gerade im Bereich der Forschung und Lehre bieten sich hier ungeahnte Möglichkeiten. Leider werden diese stark beschnitten. Wir fordern eine vollständige Lern- und Lehrmittelfreiheit für Rheinland-Pfalz. Die Verwendung und das Schaffen von freien Werken zur Vermittlung von Wissen müssen vom Land unterstützt und ausgebaut werden. Freie Werke sind nicht nur kostenfrei im Unterricht einsetzbar, sondern ermöglichen dazu dem Lehrenden ohne rechtliche Hürden die Lernmittel auf seinen Unterricht anzupassen. Alle in den Bibliotheken bereitstehenden Bücher und Zeitschriften sollen, auch in digitaler Form, für die Studierenden und Mitarbeiter frei zugänglich und verfügbar sein. Das Problem nicht bereitstehender oder auch nicht auffindbarer Bücher würde damit gelöst. Aufwendige Fernleihen müssen der Vergangenheit angehören. Die Publikationen aus staatlich finanzierter oder geförderter Forschung und Lehre werden oft in kommerziellen Verlagen publiziert, deren Qualitätssicherung von ebenfalls meist staatlich bezahlten Wissenschaftlern im Peer-Review-Prozess übernommen wird. Die Publikationen werden jedoch nicht einmal Bibliotheken der Forschungseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Wir dulden nicht, dass der Steuerzahler für Produktion, Qualitätssicherung und Nutzung insgesamt dreifach für die Kosten der Publikationen im Milliardenbereich aufkommt. Wir fordern, dass alle wisschenschaftlichen Publikationen, die aus öffentlich geförderter Forschung hervorgehen, auch allen Bürgern kostenfrei zur Verfügung stehen. Wir unterstützen die Berliner Erklärung der Open-Access-Bewegung und fordern die Zugänglichmachung des wissenschaftlichen und kulturellen Erbes der Menschheit über das Internet nach dem Prinzip des Open Access. Wir sehen es als Aufgabe des Staates an, dieses Prinzip an den von ihm finanzierten und geförderten Einrichtungen durchzusetzen. Wir fordern den Einsatz offener Software in Forschung und Lehre. Software ist Wissen und wir wollen nicht länger Millionen an Steuergeldern für geschlossene und intransparente Systeme ausgeben. Mit der Förderung und dem Einsatz von offener Software wollen wir für Transparenz an den Hochschulen, für Erweiterbarkeit der System durch Interessierte und für die Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen im Land sorgen. Software muss Studierenden und Mitarbeitern an jedem Hochschulrechner, zumindest als Alternative, angeboten werden. Auch bei der Neuanschaffung von Programmen oder dem Neuaufbau von Systemen und Datenbanken wollen wir, dass Open-Source-Lösungen eingesetzt werden. Wir lehnen die Anschaffung proprietärer Software bei existierenden Open-Source- Alternativen grundsätzlich ab. Studierende dürfen im Rahmen ihres Studiums nicht zur Nutzung oder gar zur Anschaffung bestimmter proprietärer Software genötigt werden, genauso wenig wie Mitarbeiter. Umfassende Kooperationsverträge mit Software- Monopolisten lehnen wir ab. Im Rahmen des „Open Date“ sollen Hochschulen all ihre Daten über offene, standardisierte Schnittstellen allen Interessierten kostenlos zur Verfügung stellen.
Bildungseinrichtungen demokratisieren!
Bildungseinrichtungen sind für SchülerInnen und StudentInnen ein prägender und umfassender Teil des Lebens. Sie sind deswegen als Lebensraum der Lernenden zu begreifen, der durch sie mitbestimmt werden muss. In Schulen müssen SchülerInnen ein Mitspracherecht bei der Gestaltung ihres Schulalltags haben. Demokratische Werte müssen vermittelt und vor gelebt werden, um die Akzeptanz der Entscheidungen zu erhöhen, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und selbstbestimmtes Lernen im ausreichenden Maße zu ermöglichen. Wir fordern eine grundlegende demokratische Organisation von Schule und Hochschule. Bei den Universitäten stellen sowohl das bestehende Ungleichgewicht zugunsten des Hochschulrats, als auch die geplante Novelle des Landeshochschulgesetzes eine Entmündigung der breiten Mehrheit zugunsten nicht gewählter Gremienvertreter und des Präsidialamts dar. Was als „Autonomie der Hochschule“ angepriesen wurde, verkehrt sich in ihr Gegenteil: Hochschulen verlieren die Unabhängigkeit, welche für die Erfüllung ihrer Aufgaben, die eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft ihnen übertragen hat, unentbehrlich ist. Demokratische Entscheidungsstrukturen dürfen nicht weiter durch wirtschaftliche Einflüsse oder die Etablierung autoritärer Strukturen beeinträchtigt und unterwandert werden. Wir fordern die Abschaffung des Hochschulrates und die Übertragung aller Kompetenzen auf den Senat. Die unabhängige Mitwirkung aller Interessengruppen in den demokratischen Willensbildungsprozessen der Hochschulen muss gesichert werden und sich im Hochschulgesetz widerspiegeln. Studentischen VertreterInnen sollen aufgrund der Größe der Studierendenschaft mit einer Drittelparität in allen entscheidungsbefugten Gremien vertreten sein.
Beabsichtigtes Landeshochschulgesetz stoppen!
Verschärft wird die oben aufgezeigte Entwicklung durch das neue Landeshochschulgesetz (LHG), das unter dem Deckmantel der Autonomie der Hochschule demokratische Grundstrukturen unterminiert: Die Entmachtung demokratischer Gremien und der Ausbau präsidialer Entscheidungskompetenzen, die Begünstigung der Trennung von Forschung und Lehre sowohl durch die Einrichtung von Forschungskollegs, als auch durch die Möglichkeit der Freistellung von ProfessorInnen von der Lehre für bis zu 10 Jahre, und die Schaffung von Einfallstoren für Unternehmen durch die Gründung von Hochschulverbünden und außeruniversitären Betrieben, die auch Privatunternehmen offen stehen. Wir dagegen fordern, dass VertreterInnen der Studierendenschaft in den entscheidungsbefugten, universitären Gremien nicht länger untervertreten sind und lehnen die beabsichtigte Novelle des LHG in der derzeitigen Form ab.
Bologna-Reform reformieren!
Wir fordern ein freies und selbstbestimmtes Studium ohne bürokratische Hürden, ohne stetigen Leistungsdruck und starren vorgegebenen Stundenplan, wie sie heute Studierenden- Alltag sind. Durch hohen Leistungsdruck, Dauerüberprüfung und eine rigorose Modularisierung bleibt kein Freiraum mehr für individuelle Schwerpunktsetzung. Wir wollen die Regelstudienzeit der Bachelorgänge prüfen und die Prüfungslast mit dem Ziel der Reduzierung evaluieren. Den permanten Prüfungsdruck sowie den Einfluss von Einzelleistungen auf die Gesamtnote wollen wir herabsetzen. Wir wollen eine Ausweitung der Kombinationsmöglichkeiten der Fächer untereinander, so dass eine breit gefächerte, freie Bildung möglich wird. Dabei müssen auch die Fächer gleichwertig berücksichtigt werden, die abseits des jeweilig üblichen Fächerkanons liegen oder aus fachbezogenen Studiengängen stammen. Um die durch den Bachelor zu erzielende Erleichterung von Auslandsaufenthalten zu erreichen, müssen zukünftig auch sämtliche, bei Auslandsaufenthalten in den eigenen Fächern erbrachten Leistungen, anerkannt werden. Kleine und ohnehin schon untervertretene Studienfächer wollen wir am Leben erhalten: Lehre und Forschung in solchen Fächern darf nicht aus mangelnder Popularität eingestellt werden! Wir fordern die Umsetzung der eigentlichen Ziele, die die Bologna-Reform mit ihrem aktuellen Konzept für Bachelor und Master verfehlt hat: Die Schaffung einfach verständlicher und gut vergleichbarer Abschlüsse, die Erhöhung der internationalen Mobilität und die Reduzierung der Zahl der StudienabbrecherInnen durch ein verkürztes, überschaubares Studium. Wir fordern einen massiven Ausbau der Master-Studienplätze! Derzeit ist nur einem Bruchteil der BachelorabsolventInnen ein Platz sicher. Dies führt zu neuen Bildungshürden und die Abschlussnote wird den persönlichen Fähigkeiten vorangestellt. Jedem Interessenten muss ein Masterstudium ermöglicht werden! Zulassungsquoten lehnen wir ab.
Freies, individuelles Lernen ermöglichen!
Jeder Mensch ist ein Individuum mit persönlichen Neigungen, Stärken und Schwächen. Institutionelle Bildung soll daher den Einzelnen unterstützen seine Begabungen zu entfalten, Schwächen abzubauen und neue Interessen und Fähigkeiten zu entdecken. Neben starren Lehr- und Stundenplänen, werden vor allem einige Formen der Leistungsbewertung diesen Forderungen nicht gerecht. Insbesondere die Bewertung von Verhalten nach einem vorgegebenen Normenraster z.B. durch Kopfnoten lehnen wir ab. Für ein freies Lernen und Lehren ist der Schutz vor Überwachung und Zensur unabdingbare Voraussetzung. Wer sich beobachtet fühlt oder nicht mehr sicher weiß, wer was über ihn weiß, der wird sein Verhalten anpassen und sich in seinem Lehr- und Lernprozess nicht frei entfalten. Eine Zensur behindert den Zugang zu Information, zu Wissen und zu Demokratie und wird von uns daher aufs Schärfste bekämpft. Wir fordern den uneingeschränkten Zugang zu allen Informationen. Überwachung - auch in Form von Data-Warehousing-Systemen, in denen massenhaft Studierendendaten gespeichert, gesammelt und ausgewertet werden - lehnen wir ab. Für alle Systeme, die personenbezogene Daten von Lernenden oder Lehrenden verarbeiten, fordern wir maximale Transparenz, Nachvollziehbarkeit bzgl. der Datenabfragen und wirksame organisatorische und technische Maßnahmen zum Schutz vor Missbrauch. Verwaltungssysteme müssen auch stets die Lehre unterstützen und dürfen keinesfalls von sich aus Auswirkungen auf die Gestaltung des Lehrbetriebs nehmen. Eine Barrierefreiheit setzen wir für alle Systeme als unabdingbar voraus. Die Piratenpartei Rheinland-Pfalz will die obigen Forderungen auf allen Ebenen konsequent vertreten und umsetzen und so ein freies Lernen sowie Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit etablieren und soziale Ungleichheit beseitigen. Wir sehen Bildung als Schlüsselfaktor zur gesellschaftlichen Teilhabe in der Informationsgesellschaft und als Grundlage für Frieden und Demokratie.