Benutzer:Andreas Gerhold/Rede Der Zaun ist weg
Rede anlässlich der Zaunproteste am 01.10.2011
Begrüßung
Frei nach dem Motto "Unser Dorf soll schöner werden" wird Hamburg derzeit zum Provinznest umgestaltet. Dies geht zu Lasten sogenannter "Randständiger" die dieses Idyll stören könnten. Einige der Maßnahmen wurden bereits durchgeführt, andere sind noch in Planung. - Die Straßenkinder und erwachsenen Obdachlosen, die unter der Kersten-Miles-Brücke lebten, wurden durch Umbaumaßnahmen für 100.000 € vertrieben, damit sich die Touristen, die hier zu ihren Bussen strömen, durch diesen Anblick nicht gestört fühlen. Dies geschah unter dem Deckmantel der „Historischen Wiederherstellung“. Da Obdachlose aber nun mal hart im Nehmen sind reichten Kopfsteinpflaster und Findlinge aber nicht aus, um diese Menschen zu vertreiben, im Gegenteil, sie bedankten sich noch mit einem Schild: “Danke, dass Sie unser Schlafzimmer renoviert haben.“. Die Gruppe "Echte Demokratie Jetzt – Hamburg" hatte zur letzten Sitzung der Bezirksversammlung zum Protest gegen diese Maßnahmen mit einem Bettler- & Hurenflashmob aufgerufen und entsprechende Fragen zur Bürgerfragestunde zusammengestellt. Die Bezirksversammlung war aber nicht besonders antwortfreudig. So antwortete Herr Schreiber, obwohl direkt angesprochen, gar nicht, und ein Abgeordneter der SPD warf den Fragenden gar vor, lediglich die Bezirksversammlung von der Arbeit abhalten zu wollen.
Letzte Woche ließ unser Bezirksbürgermeister Schreiber kurzerhand einen knapp drei Meter hohen Stahlzaun für weitere 18.000 € aufstellen. An dieser Stelle war das Maß voll! Schon letzten Freitag gingen etwa 1.500 St.Pauli Fans und Nachbarn aus St.Pauli gemeinsam mit 960, eilig vom Papstbesuch herbeigekarrten, Polizisten auf die Straße. Für den letzten Samstag riefen Anwohner aus St.Pauli die Hamburger dazu auf zum Zaun zu kommen um Kränze und Blumen niederzulegen um den Tot der Nächstenliebe zu betrauern -allerdings keineswegs in stiller Trauer. Hunderte kamen im Laufe des Tages und machten auch ihrer Wut Luft. Den Zaun schmückten Schilder wie „Arschloch Schreiber Gedächtnisareal“ - Das ist ein ZITAT! - oder „Penner raus aus dem Bezirksamt“ Und auch am Sonntag kamen Bürger um zu protestieren. Seit Montag ist nun ein Bündnis aus mittlerweile rund 40 Gruppen und Organisationen entstanden, die zur heutigen Demonstration aufgerufen haben.
Dies sind: AG Mieten im Netzwerk Recht auf Stadt | Ahoi | Anwohnerinitiative Münzviertel | Attac Hamburg | Avanti - Projekt undogmatische Linke | Bewohner_innen Hafenstrasse | Brandshof bleibt! | Bündnis Mietenwahnsinn stoppen | Centro Sociale | die leute:real | Die Linke (Landesverband, Bezirksverband Mitte, Bürgerschaftsfraktion) | Echte Demokratie jetzt | Elbrausch für alle | Es regnet Kaviar | Freies Netzwerk für den Erhalt des Schanzenparks | Funkenflug | GWA St. Pauli e.V. | Hafenvokü | Hallo Billstedt | Hamburger Arbeitskreis Asyl e.V. | Hedonistische Internationale | Hotel Kogge | Kampagne Flora bleibt unverträglich | LOMU | Moorburgtrasse-stoppen |NO-BNQ | Not in our name, marke Hamburg | one of many e.V. | Piratenpartei Hamburg | Politisch korrektes Bier |Ragazza e.V. | Rotzige Beatz e.V. | Sozialpolitische Opposition Hamburg e.V. | St. Pauli Perlen | Topfschlagen gegenMietenwahnsinn und Wohnungsnot | Verlag Assoziation A | Wagenplatz Zomia
Rund 80% der Hamburger sprachen sich in einer Umfrage des HA gegen den Zaun aus. Gestern nun wurde der Druck zu groß und der Zaun wurde demontiert, wohl in der Hoffnung dass wir verstummen würden. Offensichtlich hat man sich aber erneut getäuscht. Den Rückbau des Zauns feiern wir heute als Etappensieg! Der Zaun stand aber von Anfang an nur als Symbol und Krone einer völlig verfehlten Stadtpolitik. Deshalb sind wir heute trotzdem hier und demonstrieren gegen Schreibers Vertreibungspolitik.
„Ganz ehrlich, - Herr Schreiber - ES REICHT!“
So wenig wie wir den Zaun akzeptiert haben, werden wir Ihre anderen Säuberungsmaßnahmen akzeptieren. Wir werden nicht akzeptieren, dass - Der Straßenstrich von St.Georg ins Industriegebiet nach Rothenburgsort umgesiedelt wird. Die Sexarbeiter_innen gehen dort seit ca. 200 Jahren ihrem Gewerbe nach. Bis in die 60ér / 70ér Jahre trug St. Georg gerade wegen seines Rotlichtmilieus sogar den Beinamen „Klein Paris“. Mit dieser Vertreibung werden die Sexarbeiter_innen nicht nur aus ihrem sozialen Umfeld gerissen sondern auch von Hilfsangeboten wie Ragazza e.V. abgeschnitten und einer ungleich höheren Gefährdung, in einem ohnehin nicht ungefährlichem Gewerbe, ausgesetzt. Hierzu wird die Initiative „Recht auf Straße“ später noch sprechen.
Wir werden nicht akzeptieren, dass - Der Bauwagenplatz Zomia aus Wilhelmsburg verschwinden soll und großzügiger weise Ersatzflächen angeboten bekommt, die unter Hochspannungsleitungen, Straßenbrücken oder in der Einflugschneise des HH Flughafens liegen -aber auf gar keinen Fall in Mitte liegen. Eine Prüfung von Ersatzflächen im Bezirk wurde zwar von Herrn Schreiber zugesagt aber entweder nie durchgeführt oder zumindest wurden die Ergebnisse trotz Nachfragen nicht veröffentlicht. Im Gegenteil trickst die SPD-Mitte um, an ihrer fehlenden Mehrheit in der BV vorbei, einen Räumungsbeschluss durchzudrücken.
[Anm.: Die SPD hatte diesen Antrag auf Räumung als Eilantrag im Hauptausschuss gestellt, weil sie dort im Gegensatz zur Bezirksversammlung eine eigene Mehrheit hat. Die Piraten haben dagegen Beschwerde eingelegt.]
Trotzdem ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen!
Wir werden nicht akzeptieren, dass - Trinker aus dem öffentlichen Raum verschwinden und in Trinkerräumen unsichtbar verwahrt werden sollen. In einem 30qm großen Raum, sollen neben den Trinkern selbst, auch noch ein Tresen und ein Beratungsangebot untergebracht werden. Wie bitte schön soll das denn funktionieren? Um das durchzusetzen sollen nicht nur Platzverweise erteilt, sondern auch immer mehr öffentlicher Raum, z.B. rund um den Hauptbahnhof, privatisiert und dann von Sicherheitsdiensten "betreut" werden. Auch das werden wir nicht hinnehmen! Diese Maßnahme wird als Pilotprojekt bezeichnet, soll also ausgedehnt werden.
- Selbst ein, eigentlich begrüßenswertes, Winternotprogramm soll missbraucht werden Obdachlose zu registrieren und "Rückführmaßnahmen" zuzuführen. - In Folge galoppierender Gentrifizierung werden immer mehr Menschen, die mit dem Mietenwahnsinn nicht mit halten können aus ihren angestammten Quartieren vertrieben, wodurch nicht nur die vorhandenen sozialen Strukturen in den "Szenequartieren" zerstört werden, sondern andernorts soziale Brennpunkte eskalieren und Menschen in eine räumliche Falle getrieben werden. Gleichzeitig sollen demokratischen Rechte, die sich die Hamburger per Volksentscheid erkämpft haben, wieder kassiert werden. So schwadroniert die SPD seit den letzten Wahlen immer wieder davon das neue Hamburger Wahlrecht wieder durch das alte zu ersetzen, obwohl noch nicht einmal verfassungsgerichtlich festgestellte Anforderungen, wie die Streichung einer Zugangshürde auf kommunaler Ebene, erfüllt sind. Mit dem "Hamburger Vertrag" wird ein vermeintlicher Konflikt zwischen allgemein als notwendig erachtetem Wohnungsbau und demokratischen Rechten postuliert und die Möglichkeit zu Bürgerentscheiden beschnitten.
Wir werden all das nicht hinnehmen. Wir fordern: Eine solidarische Stadt für ALLE und echte Demokratie! Keine Vertreibung und soziale Spaltung! Wir wollen: - Schaffung von menschenwürdigen Wohnraum statt Schikanierung von Obdachlosen! - Eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel im sozialen Sektor! - Keine Privatisierung von Bahnhöfen und deren Vorplätzen! - Keine Vertreibung des Wagenplatzes Zomia aus Wilhelmsburg! - Keine Vertreibung der SexarbeiterInnen aus St.Georg und St. Pauli Rücktritt Markus Schreibers
Es gilt noch viele soziale Zäune einzureissen!
HAMBURG IST KEIN SCHREIBERGARTEN !!!