AG Geldordnung und Finanzpolitik/Grillfeste/Positionspapier Zinsthesen
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Vorbemerkung: Dies ist eine Meinung, die derzeit von dem Mitglied Nicolai Hähnle vertreten wird und spiegelt nur die Meinung einiger Mitglieder der Piratenpartei oder der AG Geldordnung und Finanzpolitik wider. Wer Anmerkungen/Fragen hat schreibt diese bitte auf die Diskussionsseite zu diesem Artikel. |
Dies ist das Positionspapier zum Grillfest am 20. Dezember 2012 zu Zinsthesen. Es wurde auf Basis ausgiebiger Diskussion in diesem Pad erstellt.
Inhaltsverzeichnis
Einschätzung der Realität (IST)
Vermögen und Vermögenseinkommen
Sowohl Menschen als auch juristische Personen, wie z.B. Unternehmen und Stiftungen, aber auch Körperschaften des öffentlichen Rechts können Vermögen haben. Unternehmen sind aber wiederum im Eigentum von Menschen oder anderen juristischen Personen. Wenn man diese Eigentumsketten zurückverfolgt, dann stehen am Ende immer Menschen oder der Staat oder Stiftungen. Stiftungen gehören sich gewissermaßen selbst.
Manche Formen von Vermögen erzeugen ein Einkommen, das von vielen Menschen als teilweise oder vollständig "leistungslos" wahrgenommen wird. Das ist zum Beispiel der Fall bei Zinsen (also Einkommen aus Geldvermögen wie z.B. Sparguthaben, Anleihen, Kreditforderungen), bei Pacht und Miete (also Einkommen aus Grund- bzw. Immobilienbesitz) und bei Dividenden (also Ausschüttungen von Unternehmensgewinnen an Aktienbesitzer). Dieses Einkommen nennen wir Vermögenseinkommen.
Vermögenseinkommen fließt entlang der Eigentumsverhältnisse. So erhält zum Beispiel eine Bank Einkommen aus Kreditforderungen. Von dort fließt dann ein Großteil des Einkommens weiter an die Eigentümer von Spareinlagen, Bankanleihen oder Aktien. Diese Eingentümer können selbst wieder Unternehmen sein. Dann trägt das Einkommen zum Gewinn dieses Unternehmens bei, der an die Eigentümer von Unternehmensanteilen ausgezahlt wird. Letztlich landet alles Vermögenseinkommen bei Privatpersonen oder dem Staat, Stiftungen und ähnlichen.
Umverteilung durch Zinsen
Zinsen sind ein Teil der Umverteilung von arm zu reich, dürfen aber nicht isoliert von anderen Umverteilungsmechanismen wie der Rendite auf Grundbesitz, ausufernden Spitzengehältern bei gleichzeitigem Lohndumping, Unternehmensgewinnen, Steuern und Sozialausgaben betrachtet werden.
Allerdings kann nicht der gesamte Zins, den ein Kreditnehmer zahlt, zur Akkumulation großer Vermögen beitragen, weil für den Kreditgeber auch Kosten anfallen. Ein Teil der Zinsen wird vom Kreditgeber verwendet, um Kosten zum Beispiel für die Verwaltung zu bezahlen.
Der Begriff "leistungslos"
Es ist nicht immer klar, was mit dem Begriff "leistungslos" eigentlich gemeint ist. Als erste Annäherung legen wir uns in diesem Positionspapier darauf fest, dass wir mit "leistungslosem Einkommen" ein Einkommen meinen, das nicht durch eigene Arbeit entstanden ist.
Wie oben beschrieben ist mit der Kreditvergabe auch Arbeit verbunden. Von daher ist der Zins nicht vollständig leistungslos.
Was die weitere Analyse von "Leistungslosigkeit" angeht -- also ob der Zins zumindest teilweise leistungslos ist oder überhaupt nicht, und wenn ja, wie groß dieser leistungslose Anteil ist -- gibt es sehr verschiedene Ansichten. Diese wollen wir hier nur festhalten (Beschreibung der Realität!) ohne uns auf eine davon festzulegen:
- Eine Ansicht ist, dass es verschiedene Zinsteile gebe. Einige davon, zum Beispiel die sogenannte Eigentums- bzw. Liquiditäts-Prämie seien leistungslos.
- Eine Ansicht besagt, dass Zinsen ein Ausgleich dafür seien, dass der Empfänger auf den Konsum von selbst erarbeitetem Vermögen verzicht sind. Deshalb seien Zinsen nicht leistungslos.
- Eine Ansicht sieht in Zinsen grundsätzlich keine Leistungslosigkeit, solange sich der Zinssatz auf einem freien Markt gebildet hat.
Eine Meta-Beobachtung zu diesem Thema ist, dass die Frage nach der "Leistungslosigkeit" vermutlich deshalb so umkämpft ist, weil hier versucht wird, auf der Beschreibungs-Ebene (IST-Ebene) eine moralische und normative Entscheidung (SOLL-Ebene) vorweg zu nehmen: Wenn der Zins leistungslos ist, dann ist er automatisch ungerechtfertigt -- so lautet zumindest die implizite Überzeugung.
Ein Beispiel legt nahe, dass wir diese implizite Verbindung zwischen Leistungslosigkeit und Rechtfertigung hinterfragen sollten: Wenn man die Argumentation derjenigen akzeptiert, die den Zins als leistungslos betrachten, dann sind natürlich auch die Zinsen auf Anlagen zur Altersvorsorge ein leistungsloses Einkommen. Aber ist dieses Einkommen deswegen ungerechtfertigt? Ist es nicht vielmehr so, dass die Ungerechtigkeit die viele im Zins sehen, in Wirklichkeit einfach die Ungerechtigkeit der Ansammlung massiver Vermögen ist?
Mit diesen Fragen wollen wir uns in diesem Positionspapier noch nicht beschäftigen.
Zinsverbote
Wir gehen davon aus, dass ein Zinsverbot de facto nicht durchsetzbar ist. Private Akteure, die einen Kreditvertrag abschließen wollen, würden Mittel finden, um das Zinsverbot durch kreative Buchungsmethoden und Gebühren zu umgehen. Damit würden Zinszahlungen in den Untergrund wandern und das Finanzsystem vermutlich noch komplexer werden.
Sollte es dennoch gelingen, unter den heute geltenden Rahmenbedingungen ein Zinsverbot tatsächlich durchzusetzen, würde die in der Wirtschaft übliche Kreditfinanzierung nicht mehr stattfinden. Wir gehen davon aus, dass dies die Wirtschaft stark schädigen würde. Zudem würde es auch Kredite unmöglich machen, die für Privatpersonen tendenziell nützlich sind, insbesondere bei der Finanzierung von Hauskauf oder Hausbau.
Aus diesen Gründen lehnen wir Zinsverbote ab.
Normative Aussagen (SOLL)
Zinsen und Schulden
Wenn sich zwei private Akteure auf einen Kreditvertrag mit Zinsen einigen, ohne dass eine der Parteien in den Vertrag gezwungen wurde, dann ist der vereinbarte Zins legitim. Dies ist ein Teil unseres Verständnisses von Freiheit, konkret hier die Vertragsfreiheit.
Allerdings muss es in unserer Gesellschaft möglich sein, ein menschenwürdiges Leben ohne private Schulden zu führen. Auch dies ist ein Teil unseres Verständnisses von Freiheit, konkret hier die Freiheit von finanziellen Zwängen.
Konkret bedeutet dies, dass im Zweifelsfall der Staat dafür sorgen muss, dass ein menschenwürdiges Leben ohne private Schulden für jeden möglich ist. Zudem benötigen wir ein menschliches Privatinsolvenzrecht, das Menschen, die Fehler gemacht haben oder aus unglücklichen Schicksalsschlägen in Überschuldung geraten sind, einen Neustart ermöglicht.
Anmerkungen und Erklärungen
Es ist möglich, ein menschenwürdiges Leben mit Schulden zu führen. Ein Beispiel dafür sind die vielen Familien, die einen Hauskauf oder -bau teilweise über einen Kredit finanziert haben und in einer finanziell sicheren Lage sind, in der sie sich dieses Haus auch leisten können. In diesem Fall ermöglichen die Schulden sogar ein besseres Leben: Ohne die Schulden könnten diese Familien ihr Eigenheim womöglich erst dann beziehen, wenn die Kinder schon aus dem Haus sind.
Wir stehen deshalb privaten Schulden nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Aber die Menschen müssen eben auch die Freiheit haben, ohne Schulden gut durchs Leben zu kommen.
Höhe von Guthabenzinsen
Guthabenzinsen auf sichere Geldanlagen dürfen die nominale Wachstumsrate der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten.
Im Normalfall sollten die Zinssätze auf Guthaben niedrig sein. Allerdings ist auch der Wunsch von kleinen Sparern nach einer rentablen Geldsparmöglichkeit legitim.
Anmerkungen und Erklärungen
Um die Auswirkungen von Guthabenzinsen richtig zu bewerten muss man sie in Relation zur Inflation und zum Wirtschaftswachstum setzen. Wenn die Guthabenzinsen stets genau gleich hoch wie die Wirtschaftswachstumsrate sind, dann bleibt ein einmal eingefrorenes Guthaben stets im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Landes gleich groß: Guthaben und Wirtschaftsleistung bleiben in Balance.
Wenn der Guthabenzins größer ist als die Wachstumsrate der Wirtschaftsleistung, dann greift die Überlegung des exponentiellen Wachstums des Guthabens. Irgendwann müsste das Guthaben rein theoretisch ausreichen, um ein Vielfaches der jährlichen Wirtschaftsleistung auf einen Schlag zu kaufen. Das ist natürlich unmöglich, weshalb ein so großer Guthabenzins auf sichere Geldanlagen langfristig gar nicht erreicht werden kann. Um Verzerrungen und Krisen vorzubeugen sollte ein derart großer Guthabenzins auch kurzfristig nicht zugelassen werden.
Wer ein großes Vermögen hat, der kann dies leicht diversifizieren. Er kann einen kleinen Teil des Vermögens in schlechter verzinsten, aber dafür sicheren und kurzfristig verfügbaren Geldanlagen halten, während der große Rest in rentablerem, aber dafür womöglich längerfristig gebundenem Vermögen oder Vermögen mit hoher Varianz angelegt ist. So kann er eine gute durchschnittliche Rendite auf sein Vermögen realisieren.
Wer ein kleines Vermögen hat, der muss einen größeren prozentualen Anteil seines Vermögens kurzfristig verfügbar halten und hat zudem schlechteren Zugang zu den Finanzmärkten, weshalb er tendenziell eine schlechtere durchschnittliche Rendite auf sein Vermögen erhält. Diese Situation ist unfair. Deshalb ist es legitim, wenn kleine Sparer eine rentable Geldsparmöglichkeit wünschen.
Zinsen auf staatliche Verbindlichkeiten
Zinsen auf Staatsanleihen sind eine Umverteilung von arm zu reich durch den Staat, weil Staatsanleihen anteilig vor allem im (direkten oder indirekten) Eigentum der reichen Bevölkerungsschichten sind.
Gleichzeitig hat der Staat die Aufgabe, positiv zu Wohlstand und Gerechtigkeit in der Gesellschaft beizutragen. In unserer monetarisierten Gesellschaft bedeutet dies unter anderem, dass der Staat dem Privatsektor ermöglichen muss, netto Geldvermögen aufzubauen. Dafür sind Staatsschulden oder eine andere Form von staatlichen Verbindlichkeiten notwendig.
Unter anderem deswegen, aber auch aus anderen Gründen, sehen wir in Staatsschulden ein sinnvolles Mittel der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wir lehnen aber ab, dass Staatsschulden zu einem durch Finanzinstitute festgelegten Zinssatz verzinst werden. Ob auf Staatsschulden oder andere staatliche Verbindlichkeiten ein Zins gezahlt wird, und wie hoch dieser Zinssatz sein soll, muss in demokratischen Prozessen entschieden werden.
Diese Position ist konsistent mit dem von der AG bereits beschlossenen Programmantrag Antrag über die Neuordnung der Staatsfinanzierung in der Eurozone.
Anmerkungen und Erklärungen
Einzelne private Akteure können Geldvermögen haben, denen die Schulden von anderen privaten Akteuren gegenübersteht. Solche Vermögens-Schuld-Verhältnisse summieren sich aber zwangsläufig zu Null auf. Damit der Privatsektor insgesamt und netto eine positive Geldvermögens-Position aufbauen kann, muss sich entweder das Ausland oder die Regierung verschulden. Über die gesamte Welt aufsummiert funktioniert aber auch die Verschuldung des Auslands nicht, weshalb letztlich Regierungen Verbindlichkeiten aufbauen müssen.
Diese Verbindlichkeiten müssen nicht in der Form von Staatsanleihen sein. Es ist genauso denkbar, dass die Zentralbank das Geld bei staatlichen Ausgaben einfach gutschreibt ohne dass die Regierungen einen expliziten Kreditvertrag eingeht. Varianten davon werden im Kontext von Vollgeld und Monetative diskutiert, aber auch unser oben genannter Antrag ist letztlich eine Variante davon.